Barins Dreieck
einem der Gebäude des Europaparlaments in Brüssel befindet, wenn ich mich recht erinnere.
Ich und die anderen.
Ja, so hatte es geheißen, und ich spürte, wie meine Beine wieder zu zittern begannen.
Ich verließ das Freddy’s, und auch wenn es natürlich nicht einfach war, Heinz aus meinen Gedanken zu verscheuchen, so fühlte ich mich dennoch einigermaßen ruhig, als ich heimkam. Der Besuch bei Piirs war ja zumindest besser verlaufen, als ich es nur hatte hoffen können.
Mima war mit irgendeiner Schreibarbeit in ihrem Zimmer beschäftigt. Ich schaute nur kurz bei ihr hinein, dann ging ich in mein Zimmer. Setzte mich ans Telefon und wählte Nancys Nummer.
»Darf ich heute Abend mit einer Flasche Wein zu dir kommen?« , fragte ich.
»Heute Abend?«, erwiderte sie verwundert. »Aber du warst doch gestern erst hier.«
22
Der Fall R
»Und da haben Sie natürlich den Hörer aufgelegt?«, fragte Piirs und betrachtete seinen Füller.
»Ja ...«
»Ja, da kann man Ihnen kaum einen Vorwurf machen. Wo waren Sie übrigens an dem betreffenden Abend?«
»Ich war zu Hause. Habe geschrieben. Es war der gleiche Tag, an dem ich Sie angerufen habe. Wir haben eine Zeit für eine Sitzung abgemacht ... ich glaube, meine Frau kann bezeugen, dass ich den ganzen Abend nicht weggegangen bin.«
»Wollen Sie Ihre Frau da mit hineinziehen?«
»Nein.«
Er nickte.
»Ich verstehe. Haben Sie die Liste gemacht, um die ich Sie gebeten habe?«
Ich zog das Papier aus der Innentasche. Reichte es ihm.
»Sie können sich inzwischen schon auf die Liege legen.«
Ich zog die Schuhe und die Jacke aus und legte mich zurecht. Er studierte meine Aufzeichnungen einige Minuten lang. Machte sich ein paar Notizen auf seinem Block. Dann räusperte er sich und nahm die Brille ab.
»Zweimal in der Schule und zweimal bei Ihnen zu Hause«, fasste er zusammen. »Und einmal bei Ihrer Geliebten. Acht Gedächtnislücken plus eventuell noch einige, an die Sie sich nicht genau erinnern können. Nun ja, vergessene Gedächtnislücken brauchen wir wohl nicht mitzuzählen, das ist zu dünnes Eis ...«
Er lachte kurz auf. Ich sagte nichts. Trank von dem stillen Wasser.
»Ich könnte natürlich mit Nancy sprechen, aber ich fürchte, dass das nicht viel bringen würde«, fuhr er fort. »Ich nehme an, Sie sind der gleichen Meinung?«
»Ja.«
Einen Moment lang lag es mir auf der Zunge, ihm von Heinz Hellers zu erzählen, aber ich hielt mich zurück. Konnte nicht sehen, inwiefern diese Begegnung eine Relevanz für unsere Gespräche haben könnte. Auch Piirs schien einen Augenblick lang zu zögern, wie er weiter fortfahren sollte. Er schob sich die Brille an Ort und Stelle. Nahm seine übliche Pose ein, das Kinn in der Hand, während er den Blick über die Wand ein Stück über meinem Kopf wandern ließ. Zwischen zwei Landschaftsbildern entlang, schätze ich.
Es vergingen einige Sekunden, vielleicht eine halbe Minute. Unten auf dem Fußweg hörten wir einige Frauen vorbeigehen, in eine fröhliche, lautstarke Diskussion vertieft. Vermutlich stand hinter den schweren Gardinen ein Fenster auf Kippe. Es war nicht üblich, dass Geräusche in die Praxis drangen, ich erinnere mich, dass ich darüber etwas verwundert war.
»Möchten Sie, dass ich Ihnen von dem anderen Fall erzähle?« , fragte er schließlich. »Ich habe das Gefühl, dass Sie darauf warten.«
Ich war mir dessen nicht bewusst gewesen, aber in dem Moment, als er es aussprach, war mir klar, dass es genau so war.
In aller Kürze.
Wie Piirs es auch beschrieb. Als er seinen Bericht zu Ende gebracht hatte, widmeten wir einen Teil der Zeit der Diskussion und dem Vergleich des Falls, aber ich möchte Sie nicht mehr als nötig ermüden.
Also, mit anderen Worten, direkt zur Sache:
In der Stadt Neubadenberg praktizierte in den Jahrzehnten nach dem Krieg ein Psychoanalytiker namens Schenk. Irgendwann gegen Ende der Fünfziger bekam er eines Abends im Herbst Besuch von einem Mann mittleren Alters, in der Dokumentation R genannt, den er vorher schon ein paar Mal wegen anderer Dinge behandelt hatte. R war fast ein Schulbeispiel für fehlende Ablösung von der Mutter. Der Vater starb früh, und als einziges Kind hatte R mit seiner dominanten und fordernden Mama weit bis in deren hohes Alter zusammengewohnt und sich um sie gekümmert. Nach ihrem Tod wurde er von Depressionen und verschiedenen Zwangsvorstellungen geplagt und schließlich an Schenk überwiesen. Dieser leitete unmittelbar eine Reihe
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