Barins Dreieck
erfolgreicher Gespräche ein, so erfolgreich zumindest, dass R bereits nach ein paar Monaten wieder seiner Arbeit nachgehen konnte, einem unteren Posten in einer bekannten Versicherungsgesellschaft, und ohne andere Hilfe als die wöchentlichen Treffen zu einem einigermaßen normalen Leben zurückkehren konnte. Nach einem halben Jahr konnte man auch diese beenden.
Als R an diesem Herbstabend wieder zurückkam, hatten die beiden seit mehr als drei Jahren keinen Kontakt mehr gehabt, und das, was er jetzt berichtete, wies einen ganz anderen Grad an Komplikation auf.
Während der letzten Zeit hatte R nämlich entdeckt, dass er zwei Leben lebte. Buchstäblich gesprochen. Eine Reihe unerklärlicher Ereignisse hatte ihn mit der Zeit zu dieser Einsicht gebracht, und aus diesem Grund war er erneut zu Doktor Schenk gekommen.
Von außen gesehen war seine Geschichte ganz einfach.
Auf Grund der dominanten Mutter war Rs Verhältnis zu dem anderen Geschlecht ein ungeschriebenes Kapitel in seinem Leben. Im Alter von 43 Jahren war er immer noch unschuldig und hatte eigentlich schon seit langem die Hoffnung aufgegeben, dass sich an diesem Zustand etwas ändern könnte. Die Frau war für ihn ein unbekanntes Wesen, der Liebesakt etwas aufregend Unerhörtes ... ein verbotenes, sonderbares Zimmer, für jeden verschlossen, der sich nie aus dem Eisengriff der Pubertät, aus Angst und Selbstbefleckung hat winden können.
Ganz grob gesagt.
Wie viele andere Männer in der gleichen Situation lebte R in seinen Träumen ein stark erotisiertes Leben, eine Tatsache, die ihm mehr oder weniger peinlich war. In erster Linie waren es die weiblichen Arbeitskollegen, die R nachts auf den Rücken legte. In seiner Phantasie, in wachem wie in schlafendem Zustand. Er schilderte Schenk freiwillig, welche verschiedenen Situationen und Positionen er sich vorstellte ... wie er beispielsweise von hinten in die junge Frau Lingen aus der Telefonzentrale eindrang, während sie an seinem Herd stand und ihre gemeinsame Liebesmahlzeit zubereitete, wie die kleine dunkle Frau Emmenthal rittlings auf ihm saß, auf seinem Schreibtisch, nach Büroschluss, wie die Ehefrau des Chefs, diese unglaublich dicke Frau Spinckel, ihre Röcke hob und sich seinen Kopf zwischen die Beine schob, noch bevor er seinen Mantel in der Villa draußen in S- hatte ablegen können, während man davon ausging, dass Direktor Spinckel selbst auf Dienstreise im Ausland war ...
»Woher kommt es, dass Sie den Fall so genau kennen?«, unterbrach ich Piirs.
Dieser hustete. Etwas peinlich berührt, hatte ich den Eindruck.
»Ich weiß es von Schenk persönlich. Er war ein guter alter Freund von mir. Ein Freund und Lehrmeister ...«
Ich nickte.
»Außerdem ist das meiste dokumentiert«, fügte er hinzu. »An mehreren Stellen in der psychoanalytischen Literatur ... am besten und anschaulichsten in der ›Psychiatrischen Zeitschrift‹ 6/63, wenn es Sie interessiert.«
Ich schüttelte den Kopf.
Aber wie gesagt, in aller Kürze.
Eines Tages entdeckte R etwas Merkwürdiges. Eine der Frauen im Büro, eine gewisse Frau L, gibt ihm ganz eindeutige erotische Signale, und als er sich, zitternd vor Erregung und Angst, auf ein Gespräch mit ihr einlässt, stellt sich heraus, dass er in der vergangenen Nacht bei ihr zu Hause gewesen ist und sie geliebt hat.
Die ganze Nacht über. Sie ist ganz wund, wie sie ihm etwas errötend beichtet.
R weiß natürlich, dass er sich während des Abends und der ganzen Nacht in seiner eigenen Wohnung befunden hat, aber in seinem verwirrten Zustand ist er nicht in der Lage, sie über den Irrtum aufzuklären. Etwas Unbegreiflicheres hat er nie zuvor erlebt, hinzu kommt, dass er sich deutlich daran erinnern kann, genau mit dieser Frau vor Augen am vergangenen Abend phantasiert und onaniert zu haben ... vielleicht in seinen Träumen auch mit ihr gerungen zu haben.
Dann wiederholt sich das Szenario. Andere Frauen, bekannte und unbekannte, stoßen im Laufe der folgenden Tage zu R. Danken ihm für wunderbare Liebesstunden, machen Pläne für kommende Begegnungen, schlagen Zeitpunkte vor ...
Und R schluckt alles. Geht am Ende des Arbeitstages zurück in seine Hütte, lebt sein einsames Leben. Er träumt von diesen Frauen, die ihn angesprochen und ihm das eine oder andere berichtet haben, Geschehenes und zu Erwartendes ... und natürlich versteht er nicht die Spur von dem, was da vor sich geht. Er hat den Verdacht einer Art Konspiration gegen ihn, um ihn lächerlich
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