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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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uns ... ich war der feste Boden, Ewa das verirrte Reh im Moor. Ihre Meinungen kamen und gingen, Stimmungen und Gefühlslagen wechselten von einem Tag zum anderen, manchmal von Stunde zu Stunde. Aber ich hörte ihr immer zu, und ich wankte nie, stand fest verwurzelt und unerschütterlich, damit sie sich jedesmal wieder hochziehen konnte, wenn sie Gefahr lief, zu tief zu sinken.
    Der Fels. Der feste Punkt.
    Das Adagio war jetzt vorüber.
     
    Ich dachte an diese Dinge, als ich an diesem warmen Maitag durch A. ging. Das Büro lag weit hinten in der Greijpstraa, ich hätte natürlich die Straßenbahn nehmen können, aber etwas hielt mich davon ab. Vermutlich nur der Zeitfaktor. Ich brauchte Zeit, benötigte eine längere Promenade, bevor ich bereit war, jemandem wieder Aug in Aug gegenüberzustehen. Vielleicht auch einen Moment in einem Café. Es war wie gesagt ein heißer Tag. Wieder einer.
    Haarmann hatte wissen wollen, ob ich die Details erfahren wollte oder mich mit Namen und Adresse begnügte.
    »Namen?«, hatte ich gefragt, und er hatte mir erklärt, dass sie jetzt Edita Sobranska hieß.
    »Edita Sobranska?«
    »Ja, offensichtlich.«
    Ich erklärte, dass ich den Rest gut selbst herausfinden könnte und dass ich nicht daran interessiert sei, zu erfahren, wie er es angestellt hatte, sie aufzuspüren. Er nickte, und vielleicht war da ein Anzeichen von Zweifel in seinem Blick, aber ich verzog keine Miene. Er überreichte mir eine Karte mit Namen, Adresse und Telefonnummer. Ich schob sie in meine Brieftasche und bezahlte, was er verlangte. Achthundert Gulden ohne Quittung.
     
    »Meinst du damit dein Leben, oder um wessen Leben geht es?«, erinnere ich mich damals gefragt zu haben.
    »Unseres«, antwortete sie sofort überraschenderweise. »Unser gemeinsames Leben.«
    Es war nicht üblich, dass sie es schaffte, ihre Argumentation weiterzuführen, wenn ich mit einem Einwand gekommen war.
    »Unser Leben?«
    »Ja, unseres. Wir geben einander gegenseitig keine Kraft mehr. Wir wachsen nicht ... wir fressen uns gegenseitig auf und fallen in uns zusammen. Wir fallen zusammen. Schrumpfen und schrumpfen, spürst du das nicht? Das musst du doch spüren, es gibt nichts, was deutlicher wäre. Wenn wir so weitermachen, werden wir eines schönen Tages ganz verschwunden sein.«
    »Das sind doch nur Worte, Ewa«, sagte ich. »Worte ohne Sinn, das musst du doch einsehen. Sie bedeuten nichts.«
    »Sie bedeuten alles«, sagte sie.
    Alles.
    Wer entscheidet, welche Worte einen Sinn haben und welche nicht?
    Ich folgte der Prinzengracht ein langes Stück. In dem ruhigen braunen Wasser tummelten sich Enten und Cherokeegänse in zeitloser Faulheit. Zwischen Keyserstraat und Valdemarlaan standen die Rosskastanien in voller Blüte, die gewaltigen weißgrünen Zweige schienen gleichzeitig nach oben und unten zu streben. Nach der Sonne und nach dem Wasser. Ich erinnere mich, dass ich darüber eine Weile nachdachte, über diesen Zwiespalt und darüber, dass ich mich nicht entscheiden konnte, ob es sich um ein »Sowohl als auch« oder um ein »Entweder oder« handelte. Im Nachhinein erkenne ich, dass es sich hier um eine vollkommen fruchtlose Überlegung handelte, aber ich erinnere mich an das Bild, noch nach drei Jahren kann ich die Bäume dort draußen an der Prinzengracht sehen, und ich kann mich selbst unter ihnen spazieren gehen sehen, an diesem besonderen Tag mitten im Monat Mai. Spazieren und über die Bedürfnisbefriedigung dieser gewaltigen Bäume sinnieren.
    Wärme und Wasser. Wärme oder Wasser.
    Am Kreuger Plein blieb ich stehen. Betrachtete ein paar Sekunden lang die Cafés, bis ich mich im Oldener Maas niederließ. Dort saß ich eine Stunde lang an einem Tisch draußen auf dem Bürgersteig, aber ich trank nichts außer einem Kaffee und einem Glas Saft mit Eiswürfeln.
    Spürte einen starken Zwiespalt in mir, während ich dort saß, vielleicht ähnlich dem der Kastanien. Immer wieder zog ich die Karte aus der Brieftasche und betrachtete sie.
    Edita Sobranska, Bergenerstraat 174.
    Ich versuchte zu verstehen, woher sie den Namen genommen hatte. Er klang polnisch, da gab es keinen Zweifel, aber ich wusste von keiner einzigen slawischen Verknüpfung in Ewas Leben. Warum war sie also gerade darauf gekommen?
    Vielleicht ist sie es ja doch nicht, dachte ich. Vielleicht ist es eine ganz andere Frau, und Haarmann hat sich geirrt. War das nach allem nicht die wahrscheinlichste Lösung?
    Wenn dem so war, wenn die Frau in der Bergenerstraat sich

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