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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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lese darüber. Stelle fest, dass es vollkommen richtig beschrieben wurde. Hinzuzufügen wäre noch, dass es Montag, der 17. Mai, war und außerdem der bis dahin heißeste Tag des Jahres.
     
    Ich gieße mir aus der zerkratzten Karaffe Wasser ein, eine Nebelwolke breitet sich im Ouzo-Glas aus. Ich sitze allein unter dem Sonnenschirm, warte, dass die Siesta zu Ende geht, ich habe eine Stunde auf einer Bank bei der Bougainvillea nördlich der Kirche geschlafen, aber jetzt sitze ich hier mit meinem Umschlag.
    Hotel Ormos. Es gibt noch drei andere hier im Ort, aber das Ormos hat die Grandesse. Die Grandesse und die Aussicht. Unter mir, ganz hinten auf der zerklüfteten Landzunge, liegt die alte Festung, zu der ein unglaublich staubiger Bus die Besucher tagein, tagaus verfrachtet.
    Ausgenommen die Siestastunden. Die jetzt langsam zu Ende gehen, die Hitze ist immer noch lähmend, aber die Sonne steht schräg, und die Schatten breiten sich langsam zwischen den Häusern aus. Sobald Herr Valathakos herauskommt und die Gitter seines Souvenirladens aufschließt, werde ich zu ihm gehen. Es ist nur über die Gasse. Valathakos ist der einzige Geschäftsmann im Ort, der immer noch Gitter hat, es gibt Leute, die über ihn den Kopf schütteln, ihn einen Esel oder einen Athener nennen, obwohl er doch genauso gebürtiger Insulaner ist wie sie und im Gegensatz zu vielen anderen das ganze Jahr über hier lebt.
    Als ich mich vorstelle, zeigt sich, dass er nichts dagegen hat, einen Ouzo im Ormos zu trinken. Er verschließt das Gitter wieder, und wir lassen uns an dem gleichen Tisch nieder, an dem ich die letzte Stunde verbracht habe.
    Ich verspüre eine gewisse Nervosität, ich habe nur noch eine Woche Zeit, und Herr Valathakos ist eine Trumpfkarte. Das weiß ich seit ein paar Tagen, habe nur auf die richtige Gelegenheit gewartet, und als ich ihm die Fotos hinschiebe, kann ich spüren, wie mir das Blut in die Schläfen steigt und dass sich auf meiner Oberlippe Schweißtropfen bilden. Sie sind kalt und schmecken nach allem, nur nicht nach Salz.
    Bevor er die Bilder anschaut, prosten wir uns zu. Dann nimmt er den breitkrempigen Strohhut ab und wischt sich die Stirn mit der Innenseite seiner behaarten Hand ab. Setzt den Hut wieder an Ort und Stelle und zündet sich eine Zigarette an.
    Er geht sorgfältig vor. Fährt sich mit den Fingern über die blauschwarzen Bartstoppeln und studiert die Fotos lange und gründlich. Dann nickt er und fragt, ob ich eine Karte habe.
    Ich entfalte sie. Er deutet lachend auf seinen Laden, und ich bestätige, dass ich sie mir genau dort besorgt habe. Er schiebt sie zurecht, fährt mit dem Blick ein paar Mal kreuz und quer darüber, als wolle er sich orientieren und kontrollieren, dass es sich auch wirklich um die richtige Insel handelt. Dann sucht er nach einem Stift. Ich reiche ihm einen, und er malt ein großes, deutliches Kreuz in eine der kleinen Buchten auf der Nordseite.
    »Boat!«, sagt er. »No road!«
    Ich nicke. Taste nach ein paar Scheinen in der Brusttasche meines Hemds, aber er macht eine diskrete, abweisende Geste mit der Hand.
    »No italiano«, erklärt er. »Greek.«
    Ich bitte um Verzeihung. Wir lehnen uns zurück und trinken beide einen Schluck.
     
    Bei Albert Hijn kaufe ich vier Flaschen Whisky und ebenso viele Dosen Katzenfutter. Ich kann in diesen Tagen immer noch einen deutlichen Zug von Rationalität in meinen Handlungen erkennen. Ich gieße die Blumen, mache Beatrices Kiste sauber und schütte frischen Sand nach. Gebe ihr Futter in ihre Schale – eine großzügige Portion, die für ein paar Tage reichen müsste –, bevor ich mich in den Sessel setze und anfange zu trinken, einzig und allein mit dem Ziel, einen angenehmen Grad der Bewusstlosigkeit zu erlangen.
    Methodisch und ohne Eile leere ich das eine Glas nach dem anderen. Lasse den Alkohol seine Wirkung tun und die Herrschaft übernehmen, aber ohne mich zu ereifern, ohne in diese Gruben von Stillstand und Unpässlichkeit zu fallen. Ohne Engagement sozusagen – ein leises, klinisches Trinken, bei dem ich die ganze Zeit mit einem isolierten Teil meines Bewusstseins den Prozess unter strenger Aufsicht und Kontrolle halte. Ich habe das schon früher durchgemacht, und ich weiß, worum es geht.
    In den frühen Nachtstunden versuche ich mich ein paar Mal mit dem Stift zu beschäftigen. Mit dem Stift und dem Auge. Versuche ihn zu balancieren, und es gelingt mir tatsächlich, ein Bleistift zwischen Auge und Hand. Die scharf angespitzte

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