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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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fallen lassen hatte. Kitty wartete, bis die Gestalt ein Stückchen weitergehumpelt war, dann schlich sie lautlos wie eine Katze hin, ging in die Hocke, griff sich die Lampe, knipste sie aus und zog sich wieder zurück.
    Dem anderen schien ihre Aktion nicht entgangen zu sein. Er blieb im Mittelgang stehen, drehte sich um und stieß einen zittrigen Seufzer aus. »Ist… ist da jemand?«
    Kitty stand reglos hinter ihrem Pfeiler.
    »Bitte… sonst findet er mich!« Das Tappen setzte wieder ein und kam stetig näher.
    Kitty biss sich auf die Lippe. Eigentlich wollte sie plötzlich aus ihrem Versteck springen, die Lampe anknipsen, einen Blick auf die Gestalt werfen und dann losrennen, doch die Angst lähmte sie.
    Tapp, tapp… dann hörte sie den Stock auf den Steinboden klappern und anschließend etwas Schweres fallen.
    Kitty fasste einen Entschluss. Sie nahm die Stablampe zwischen die Zähne und zog etwas Kleines aus der Hosentasche. Großmutter Hyrneks Silberanhänger lag kalt und schwer in ihrer Hand. Dann verließ sie ihre Deckung und knipste das Licht an.
    Direkt neben ihr lehnte das Gerippe mit glitzernder Goldmaske am Pfeiler und stemmte lässig die Hand in die Hüfte. »Hallöchen!«, sagte es fröhlich… und stürzte sich auf sie.
    Mit einem Aufschrei stolperte Kitty zurück, ließ die Lampe fallen und stieß die Hand mit dem Silberanhänger vor. Ein Luftzug, Gelenke quietschten, ein heiserer Protestruf: »He, das ist unfair!« Das Gerippe blieb abrupt stehen. Zum ersten Mal erhaschte Kitty einen Blick auf seine Augen: zwei rot glühende Punkte, die sie erbost anfunkelten.
    Kitty wich zurück, den Anhänger immer noch in der ausgestreckten Hand. Die Augen kamen hinterher, wobei sie zwar Abstand hielten, dann aber, als sie das Schmuckstück hin und her schwenkte, von einer Seite zur anderen wanderten und der schaukelnden Bewegung folgten.
    »Tu das weg, kleines Mädchen«, sagte das Gerippe verdrießlich. »Es tut mir weh. Muss erstklassige Qualität sein, sonst hätte so ein kleines Dingelchen nicht so große Wirkung.«
    »Hau ab!«, fauchte Kitty. Irgendwo hinter ihr musste die Tür zum Kreuzgang sein.
    »Wieso sollte ich? Weißt du, ich habe meine Weisung, besser gesagt, zwei Weisungen. Erstens, Gladstones Schatz zu hüten. Wie sieht’s damit aus? Auftrag ausgeführt, Honorius, gut gemacht. Zweitens, alle Eindringlinge ins Jenseits zu befördern. Trefferquote bis jetzt? Zehn von zwölf. Nicht übel, aber noch ausbaufähig. Und deshalb bist du, kleines Mädchen, die Nummer elf!« Das Gerippe machte einen Satz und streifte Kitty mit den Knochenhänden. Sie kreischte auf, duckte sich und hielt den Silberanhänger hoch. Ein grüner Funkenschauer, ein Kreischen wie von einem Tier.
    »Aua! Tu das weg, verdammt noch mal!«
    »Wieso sollte ich?« Kitty spürte einen kalten Luftzug im Rücken, machte zwei Schritte rückwärts und wäre fast gegen die offene Tür gestoßen. Sie zwängte sich durch den Spalt, trat über die Schwelle und stand im Kreuzgang.
    Das Gerippe stand als geduckter Schatten im Türbogen und schüttelte die erhobene Faust. »Für dich hätte ich mein Schwert einstecken sollen, Kitty! Eigentlich könnte ich es ja mal eben ho…« Es brach ab und neigte wieder den Kopf. Irgendetwas hatte es abgelenkt.
    Kitty ging langsam rückwärts durch den Kreuzgang.
    »Die Sterne… ich wusste schon gar nicht mehr, wie die aussehen.« Der Schatten unter der Tür hüpfte auf ein Sims und blickte zum Himmel empor. »Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt…« Noch am anderen Ende des Kreuzgangs hörte Kitty, wie es die kühle Nachtluft einsog, vor sich hin brummelte und gelegentlich leise Entzückensrufe ausstieß. Es schien Kitty ganz vergessen zu haben.
    »Keine Steine. Keine Würmer. Eine ganz andere Welt! Kein Schimmel, kein Staub und keine Totenstille mehr! Viele, viele Sterne… und so viel Platz…«
    Kitty bog um die Ecke und rannte zum Ausgang.
     

Teil VIER
Nathanael

32
    Die Limousine mit Nathanael brauste durch die südlichen Außenbezirke Londons, eine Gegend, in der sich Schwerindustrie, Ziegeleien und Alchimiefabriken angesiedelt hatten und stets ein rötlicher Dunst über den Häusern hing, der im Schein der untergehenden Sonne bösartig glomm. Damit man schneller und bequemer vorankam, hatte man die für Zauberer reservierte Schnellstraße vom Flugplatz in die Innenstadt auf Dämmen und Überführungen hoch über den schmuddeligen, labyrinthisch verbauten Elendsvierteln

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