Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
Jemand so Tüchtiges könnte mir eventuell aus der Klemme helfen.«
Er machte eine kleine Pause, aber Nathanael äußerte sich nicht dazu. Wenn man von einem Fremden ins Vertrauen gezogen wird, ist man besser erst einmal auf der Hut. Ihm war immer noch nicht klar, worauf Makepeace eigentlich hinauswollte.
»Sie waren ja heute Morgen auch in der Westminster Abbey und haben die Debatte des Ministerrats verfolgt. Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass unser Freund, der Polizeichef Duvall, erheblich an Einfluss gewonnen hat.«
»Ganz recht, Sir.«
»Als Oberbefehlshaber der Grauröcke hat er schon lange einen wichtigen Posten inne und macht keinen Hehl daraus, dass es ihn nach noch mehr Macht gelüstet. Er hat die derzeitigen Unruhen bereits dazu genutzt, seine Befugnisse auf Kosten Ihrer Meisterin, Miss Whitwell, zu erweitern.«
»Ein gewisser Konkurrenzkampf der beiden ist mir auch schon aufgefallen«, stimmte ihm Nathanael zu. Näher darauf einzugehen, hielt er für unklug.
»So kann man es, milde gesagt, auch ausdrücken. Als guter Freund von Rupert Devereaux scheue ich mich nicht zu gestehen, dass ich Duvall seit geraumer Zeit mit wachsender Besorgnis beobachte. Zu viel Ehrgeiz ist gefährlich, Mandrake. Solche Leute stiften nur Unruhe. Ungebildete, ungehobelte Leute wie Duvall – Sie hören gewiss mit einiger Erschütterung, dass er in seinem ganzen Leben noch keine einzige meiner Premieren besucht hat! – sind die allerschlimmsten, denn sie nehmen keine Rücksicht auf Gleichgestellte. Seit Jahren baut Duvall seine Machtposition systematisch aus, stellt sich gut mit dem PM und untergräbt zugleich die Autorität anderer Regierungsmitglieder. Sein Ehrgeiz und seine krankhafte Selbstüberschätzung sind inzwischen allgemein bekannt. Die jüngsten Ereignisse, beispielsweise das Ableben unseres bedauernswerten Kollegen Tallow, haben die führenden Minister einigermaßen verstört, und Duvall erwägt womöglich, daraus seinen Vorteil zu ziehen. Ehrlich gesagt, Mandrake, und es macht mir nichts aus, das gegenüber einem so ungewöhnlich scharfsinnigen und staatstreuen jungen Mann wie Ihnen einzugestehen, fürchte ich, dass Duvall schon jetzt mächtig genug für einen Putsch ist.«
Vielleicht lag es an seiner Theatererfahrung, aber Mr Makepeace hatte eine besonders lebendige Sprechtechnik. Mal flötete er hoch und tremolierend, dann wieder klang seine Stimme tief und sonor. Aller Vorsicht zum Trotz war Nathanael von seinem Vortrag gefesselt und beugte sich ganz gebannt vor.
»Jawohl, mein Junge, Sie haben recht gehört. Ich fürchte einen Putsch und als Mr Devereaux’ treuester Freund möchte ich so etwas um jeden Preis verhindern. Deshalb suche ich Verbündete. Jessica Whitwell ist gewiss einflussreich, aber wir verstehen uns nicht besonders. Sie ist ebenfalls keine große Theatergängerin. Sie dagegen, Mandrake, Sie stehen mir wesentlich näher. Ich verfolge Ihre Laufbahn seit dieser bedauerlichen Lovelace-Affäre jetzt schon eine ganze Weile, und ich glaube, wir kämen hervorragend miteinander aus.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir«, sagte Nathanael gedehnt, aber innerlich jubelte er. Darauf hatte er gewartet – auf eine direkte Verbindung zum Premierminister. Miss Whitwell war keine echte Verbündete, sie hatte bereits deutlich gemacht, dass sie ihren Gehilfen um der eigenen Karriere willen jederzeit opfern würde. Aber wenn er sich jetzt geschickt anstellte, konnte er rasch aufsteigen. Vielleicht konnte er dann sogar ganz auf ihre Unterstützung verzichten.
Doch er bewegte sich auf vermintem Gelände und musste äußerst behutsam vorgehen. »Mr Duvall ist ein ernst zu nehmender Gegner«, sagte er unverbindlich. »Sich mit ihm anzulegen, ist nicht ungefährlich.«
Mr Makepeace lächelte. »Ein wahres Wort. Aber haben Sie in dieser Hinsicht nicht bereits erste Schritte unternommen? Soweit ich weiß, haben Sie heute Nachmittag dem Staatsarchiv einen Besuch abgestattet… und anschließend eilig eine zweifelhafte Adresse in Balham aufgesucht.«
Es klang ganz harmlos, aber Nathanael bekam einen Riesenschreck. »Entschuldigen Sie«, stammelte er, »aber woher wissen Sie…?«
»Ich höre so manches, mein Junge. Als Mr Devereaux’ Freund halte ich stets Augen und Ohren offen. Nun machen Sie doch nicht so ein entsetztes Gesicht! Ich habe keine Ahnung, was Sie dort vorhatten, es sah mir nur sehr nach einem Alleingang aus.« Sein Lächeln wurde noch breiter. »Inzwischen ist ja Duvall für die
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