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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
Autoren: Jonathan Stroud
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benutzen teure Duftwässer, aber manchmal dringt noch ein anderer Hauch durch, der auf ihren Beruf hindeutet: ein Geruch nach exotischem Räucherwerk, fremdartigen Chemikalien… Aber wenn du das riechst, bist du schon viel zu nah dran! Geh ihnen aus dem Weg!«
    Kitty hatte es ihm fest versprochen. Jedes Mal wenn ein Kunde die Lederwarenabteilung betrat, verdrückte sie sich in eine Ecke und beobachtete ihn neugierig von weitem. Die Ratschläge des Vaters nützten ihr nicht viel. In ihren Augen waren alle Kunden, die das Kaufhaus betraten, gut gekleidet, viele trugen Spazierstöcke, und der strenge Ledergeruch überdeckte alle eventuellen anderen Duftnoten. Nach einer Weile jedoch erkannte sie die Zauberer an anderen Merkmalen: eine gewisse Strenge im Blick, ein herablassendes, befehlsgewohntes Gehabe, vor allem legte ihr Vater plötzlich ein völlig anderes, zwanghaftes Verhalten an den Tag. Er schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen, wenn er mit ihnen sprach, sein Anzug schien vor Anspannung Falten zu schlagen, und sein Schlips verrutschte. Wenn er sich mit solchen Kunden unterhielt, nickte und verbeugte er sich zwischendurch immer wieder beflissen. Es war nur eine kleine Veränderung, aber es entging Kitty nicht, und es verwirrte, nein, es bedrückte sie, obwohl sie nicht recht wusste, weshalb eigentlich.
    Kittys Mutter arbeitete als Empfangsdame bei Palmer Federkiele, einem alteingesessenen Unternehmen, dessen Firmenräume zwischen den vielen Buchbindereien und Pergamentmachern in Südlondon lagen. Das Kontor belieferte die Zauberer mit speziellen Schreibfedern, die bei Beschwörungen benutzt wurden. Federkiele waren umständlich zu handhaben und klecksten, kaum ein Zauberer verwendete noch welche. Sogar die Angestellten bei Palmer benutzten inzwischen Kugelschreiber.
    Dank ihrer Stellung erhaschte auch Kittys Mutter gelegentlich einen Blick aus nächster Nähe auf Zauberer, die das Kontor persönlich aufsuchten, um eine neue Lieferung Federkiele zu begutachten. Sie fand das immer sehr aufregend.
    »Nein, was sie für ein hinreißendes Kleid anhatte!«, sagte sie dann. »Aus schrecklich teurem, rot-goldgestreiftem Taft… der kam bestimmt geradewegs aus Byzanz! Und diese herrische Art! Ein Fingerschnipsen, und sofort lief alles los, um ihren Wünschen nachzukommen.«
    »Klingt ziemlich eingebildet«, meinte Kitty.
    »Du bist zu jung, um das zu beurteilen, Schätzchen«, widersprach die Mutter. »Nein, nein, eine ganz wundervolle Frau war das!«
    Als Kitty zehn war, kam sie eines Tages aus der Schule und fand ihre Mutter in Tränen aufgelöst.
    »Was hast du denn, Mama?«
    »Nichts… Ach was… Ich gebe zu, es kränkt mich ein wenig. Ich fürchte… ich fürchte, ich werde nicht mehr gebraucht. Ach, Kitty-Schätzchen, was sagen wir bloß deinem Vater?«
    Kitty drückte ihre Mutter auf einen Stuhl, kochte ihr einen Tee und holte ihr einen Keks. Unter ausgiebigem Schniefen, Seufzen und vielen Schlückchen Tee kam nach und nach die Wahrheit ans Licht. Der alte Mr Palmer hatte sich aus dem Geschäftsleben zurückgezogen. Die Firma war von drei Zauberern übernommen worden, denen es missfiel, dass unter den Angestellten auch Gewöhnliche waren. Deshalb hatten sie ihr eigenes Personal mitgebracht und die Hälfte der alten Belegschaft vor die Tür gesetzt, darunter auch Kittys Mutter.
    »Aber das dürfen die doch nicht!«, hatte Kitty protestiert.
    »Natürlich dürfen sie das. Es ist ihr gutes Recht. Sie schützen unser Land und machen uns zur wichtigsten Nation der Welt. Dafür genießen sie natürlich einige Vorrechte.« Ihre Mutter trocknete sich die Augen und trank noch einen Schluck Tee. »Trotzdem ist es ein bisschen kränkend, nach all den Jahren…«
    Kränkend oder nicht, es war der letzte Tag, an dem Kittys Mutter bei Palmer gearbeitet hatte. Einige Wochen darauf verschaffte ihre Freundin Mrs Hyrnek, der man ebenfalls gekündigt hatte, ihr eine Putzstelle in einer Druckerei, und das Leben verlief wieder in geordneten Bah
    nen. Nur Kitty vergaß den Vorfall nicht.
    Kittys Eltern waren eifrige Leser der Times, in der täglich die neuesten Erfolge der Armee vermeldet wurden. Jahrelang schien alles nach Plan zu verlaufen, das Reich wuchs und wuchs und die Schätze der Welt flossen der Hauptstadt zu. Doch der Erfolg hatte auch seinen Preis, und die Zeitung forderte ihre Leser immer wieder auf, nach Spionen und Saboteuren aus feindlichen Staaten Ausschau zu halten, die womöglich in einer gutbürgerlichen
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