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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Mittagszeit! Nein, Kitty, jetzt beantworte ich keine Fragen mehr. Alles aufstehen, Stühle unter die Tische schieben und leise rausgehen!«
    Nach solchen schulischen Erörterungen war Jakob oft schlechter Laune, aber seine Verdrossenheit hielt meist nicht lange an. Er war ein fröhlicher, unternehmungslustiger Junge, schmächtig und dunkelhaarig, mit einem offenen, frechen Gesicht. Er begeisterte sich für Sport und verbrachte von klein auf viel Zeit mit Kitty im verwilderten Garten seines Elternhauses. Dort übten sie Bogenschießen, spielten Fußball, improvisierten Kricketspiele und hielten sich im Allgemeinen von Jakobs großer, lebhafter Familie fern.
    Offiziell war Mr Hyrnek das Familienoberhaupt, aber im täglichen Leben gehorchte er genau wie die anderen Familienmitglieder seiner Ehefrau, Mrs Hyrnek. Die segelte wie eine von launischen Winden getriebene Fregatte durchs Haus, ein Temperamentsbündel mütterlicher Tatkraft, mit breitem Kreuz und üppigem Busen, stieß ihr heiseres Lachen aus und beschimpfte ihre vier ungebärdigen Söhne herzhaft auf Tschechisch. Jakobs ältere Brüder Karel, Robert und Alfred hatten alle drei die eindrucksvolle Statur ihrer Mutter geerbt und ihre Körpergröße, ihre Kraft und die tiefen, dröhnenden Stimmen ließen Kitty in ihrer Nähe eingeschüchtert verstummen. Mr Hyrnek dagegen ähnelte Jakob. Er war klein und schmächtig und sein runzliges Gesicht erinnerte Kitty an einen verschrumpelten Apfel. Er schmauchte eine krumme Pfeife aus Eschenholz, die in Haus und Garten süß duftende Ringelwolken hinterließ.
    Jakob war sehr stolz auf seinen Vater. »Er ist echt genial«, sagte er zu Kitty, als sie sich nach einer Art Squashspiel mit dem Ball gegen die Hauswand unter einem Baum ausruhten. »Keiner kann mit Leder und Pergament so umgehen wie er. Du solltest mal die winzigen Bannspruchbüchlein ansehen, an denen er zurzeit arbeitet! Die sind mit Goldprägungen im alten Prager Stil versehen, aber in allerkleinstem Maßstab! Er verziert sie mit klitzekleinen, absolut naturgetreuen Tieren und Blumen und bringt zum Schluss noch ganz feine Intarsien aus Elfenbein und Edelsteinen an. So was kriegt nur Papa fertig.«
    »Die kosten bestimmt ein Vermögen«, meinte Kitty.
    Jakob spuckte den Grashalm aus, auf dem er herumgekaut hatte. »Du machst Witze«, sagte er nüchtern. »Die Zauberer zahlen ihm keinen angemessenen Preis dafür. Haben sie noch nie getan. Er schafft es gerade mal so, die Werkstatt am Laufen zu halten. Sieh dich doch um…« Er zeigte mit dem Kinn auf das Haus mit seinen losen Dachziegeln, den schief in den Angeln hängenden, verwitterten Fensterläden und der Terrassentür, von der die Farbe abblätterte. »Findest du das etwa richtig, dass wir in so einem Haus wohnen? Mal ehrlich!«
    »Jedenfalls ist es viel größer als unseres«, sagte Kitty sachlich.
    »Die Buchdruckerei Hyrnek ist die zweitgrößte von ganz London«, erwiderte Jakob. »Nur Jaroslav ist noch größer. Und die produzieren bloß Billigware, stinknormale Lederbindungen, Jahrbücher und Kataloge, solches Zeug. Die komplizierten Sachen überlassen sie uns, alles was echte Handwerkskunst ist! Deshalb kommen auch so viele Zauberer zu uns, wenn sie ihre Lieblingsbücher gebunden und individuell gestaltet haben wollen. Aufwändige Einzelstücke, so was finden sie toll. Letzte Woche hat Papa einen Einband fertig gestellt, der hatte vorne drauf ein Pentagramm aus Diamantsplittern. Alberne Spielerei, aber was soll’s… so und nicht anders hatte die Frau es bestellt.«
    »Warum bezahlen die Zauberer deinen Papa dann nicht anständig? Eigentlich müssten sie doch Angst haben, dass er irgendwann nicht mehr so sorgfältig arbeitet und genau solchen Schund wie die anderen liefert.«
    »Das würde Papa gegen die Ehre gehen, aber der eigentliche Grund ist, dass er ihnen ausgeliefert ist. Wenn er nicht spurt, schließen sie ihm den Laden und verkaufen ihn an jemand anderen. Vergiss nicht, wir sind Tschechen, schon deswegen sind wir verdächtig. Leuten wie uns traut man nicht, obwohl wir Hyrneks seit über hundertfünfzig Jahren in London ansässig sind.«
    »Was?« Kitty war empört. »Das ist doch lächerlich! Natürlich trauen sie euch! Sonst hätten sie euch schon längst rausgeworfen!«
    »Sie dulden uns, weil wir uns nützlich machen. Aber bei den vielen Unruhen im übrigen Europa behalten sie uns immer im Auge, denn schließlich könnten wir mit feindlichen Spionen unter einer Decke stecken. Papas Werkstatt

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