Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
Autoren: Jonathan Stroud
Vom Netzwerk:
Kitty merkte angewidert, dass auch sie den Atem anhielt.
    Plötzlich zog der Dschinn mit einer schallenden Verwünschung und metallischem Klirren seinen Krummsäbel und barg das bebende Mädchen an seiner Brust. »Amaryllis! Da sind sie! Mein Zauberauge sieht sie kommen!«
    »Wen, Bertilak? Wen siehst du?«
    »Sieben schreckliche Kobolde, mein Herz, von der Königin der Afriten gesandt, mich gefangen zu nehmen! Unsere zarte Liebe missfällt ihr. Man will uns beide fesseln und nackt vor ihren Thron schleppen, wo sie sich an unserem Unglück weiden wird. Du musst fliehen! Nein… wir haben keine Zeit mehr für zärtliches Getändel, und wenn du mich noch so flehentlich anblickst! Geh!«
    Unter dramatischen Gesten löste sich das Mädchen aus seiner Umarmung und zog sich an den linken Bühnenrand zurück. Der Dschinn warf Umhang und Wams von sich und stellte sich dem Kampf mit bloßer Brust.
    Aus dem Orchestergraben erscholl ein misstönender Akkord. Sieben fürchterliche Kobolde sprangen hinter den Felsen hervor. Sie wurden von Liliputanern in ledernen Lendenschurzen und hautengen, grün schimmernden Anzügen verkörpert. Unter grässlichem Gebrüll und noch grässlicherem Grimassenschneiden stürzten sie sich mit gezückten Dolchen auf den Dschinn, worauf ein wilder Kampf entbrannte, untermalt von schrillem Geigengewimmer.
    Böse Kobolde… Ein verderbter Zauberer…Die Schwäne von Arabien war geschickt gemacht, so viel hatte Kitty inzwischen begriffen. Die ideale Propaganda, die subtil allgemeine Ängste verstärkte, statt dagegen anzugehen. Man führt uns vor Augen, wovor wir uns fürchten, dachte sie, bloß in abgeschwächter Form. Dazu Musik, Kampfszenen und unsterbliche Liebe. Erst sollen uns die Dämonen einschüchtern, dann dürfen wir zuschauen, wie sie zugrunde gehen. Wir haben alles im Griff. Und zum Schluss gibt’s ein Happyend. Der böse Hexenmeister würde von den guten Zauberern vernichtet, die boshaften Afriten ebenfalls besiegt werden. Und was den wilden Dschinn Bertilak betraf, so würde er sich zweifellos als Mensch entpuppen, als morgenländischer Prinz, den ein grausamer Bannfluch in ein Ungeheuer verwandelt hatte. Er würde mit Amaryllis bis an ihr Lebensende glücklich sein, beschützt und behütet von weisen, wohlwollenden Zauberern…
    Auf einmal wurde Kitty übel. Diesmal war es nicht die Anspannung wegen ihres Vorhabens, diese Übelkeit saß tiefer, wurde von dem Zorn gespeist, der wie Lava unablässig in ihr brodelte. Sie rührte von der Gewissheit her, dass alles, was sie unternahmen, letztendlich aussichtslos und vergebens war. Gar nichts würde sich ändern! Das Verhalten der Zuschauer bestätigte sie in dieser Überzeugung. Seht doch! Amaryllis soll entführt werden! Ein Kobold hat sich das strampelnde, schluchzende Mädchen unter den Arm geklemmt. Wie die Menge da nach Luft schnappt! Aber sieh da! Bertilak, der heldenhafte Dschinn, hat einen Kobold gepackt und ihn über die Schulter ins schwelende Feuer geschleudert! Jetzt verfolgt er den Schurken, der Amaryllis geraubt hat, reißt den Krummsäbel hoch und macht – zack, zack – kurzen Prozess mit ihm. Hurra! Das Publikum jubelt!
    Im Grunde war es ganz egal, was sie taten; es war egal, was sie stahlen, was für tollkühne Überfälle sie unternahmen. Es blieb alles beim Alten. Morgen würden sich unter den Wachkugeln vor dem Eingang des Metropolitan-Theaters neue Schlangen bilden, während die Zauberer in ihren Villen hockten und sich der Annehmlichkeiten erfreuten, die ihre Vormachtstellung mit sich brachte.
    So war es schon immer gewesen. Alle ihre Bemühungen waren von vornherein zum Scheitern verurteilt.

4
    Das Getöse auf der Bühne trat in den Hintergrund und sie hörte stattdessen Vogelgezwitscher und das leise Brausen des Straßenverkehrs. Vor ihrem inneren Auge wich das Dunkel des Theatersaals einer sonnendurchfluteten Erinnerung.
    Drei Jahre war es her. Im Park. Der Ball. Fröhliches Gelächter. Das Unheil traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
    Jakob, der grinsend auf sie zugelaufen kam… der schwere Holzschläger in ihrer Hand.
    Der Schlag! Volltreffer! Wilde Freudensprünge.
    Dann das ferne Krachen.
    Wie sie rannten, wie ihnen vor Angst das Herz klopfte. Und dann… das Wesen auf der Brücke…
    Sie rieb sich wieder die Augen. Aber so schrecklich jener Tag auch gewesen war… hatte es tatsächlich erst damals angefangen? In den ersten dreizehn Jahren ihres Lebens war Kitty nicht bewusst gewesen, was die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher