Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
Und wonach verlangte es mich? Nach Rache! Doch zuvörderst nach dem Stab, auf den sich meine Macht gründet. So schlich ich Tag und Nacht am Flussufer entlang und schnüffelte wie ein Hund nach seiner Aura… Und heute«, sein Tonfall schlug in unbändigen Jubel um, »habe ich ihn endlich hier in diesem Hof aufgespürt und mir die Wartezeit mit dem Burschen da drüben vertrieben.« Es zeigte mit dem Zeh auf den toten Chauffeur. »Ich fürchte bloß, er hat sich nicht ganz so gut unterhalten wie ich.«
Bartimäus nickte. »Menschen glänzen nun mal nicht gerade durch Schlagfertigkeit. Langweilig, so was.«
»Ach ja?«
»Ja. Sterbenslangweilig.«
»Hm«, brummelte das Gerippe und rief dann ungehalten: »He! Du versuchst, das Thema zu wechseln!«
»Überhaupt nicht. Du hast eben gesagt, du wärst so was von sauer auf mich.«
»Allerdings. Wo war ich…? So was von sauer… zwei Lämmlein, ein Mädchen und ein Dschinn…« Es schien völlig den Faden verloren zu haben.
Kitty deutete mit dem Daumen auf den Zauberer Mandrake. »Und was ist mit dem da?«
Mandrake zuckte zusammen. »Ich bin diesem edlen Afriten noch nie begegnet! Demnach kann er mir auch nichts vorzuwerfen haben.«
Die Flammen in den leeren Augenhöhlen loderten auf. »Bis auf den Umstand, dass du meinen Stab bei dir trägst. In dem Punkt kenne ich kein Pardon. Und was noch schlimmer ist… du hast auch noch vor, ihn zu benutzen! Jawohl! Leugnen ist zwecklos – schließlich bist du ein Zauberer!«
Konnte man sich seinen Unmut vielleicht zunutze machen? Kitty räusperte sich. »Er hat mir befohlen, den Stab zu stehlen! Er ist an allem schuld! Er hat auch Bartimäus auf dich gehetzt.«
»Tatsächlich?« Das Gerippe musterte Mandrake. »Das ist ja hochinteressant…« Dann wandte es sich wieder Bartimäus zu. »Sie redet Unsinn, oder? Dieser Fatzke, der sich an meinem Stab vergreift, kann doch unmöglich dein Herr sein!«
Der junge Ägypter wirkte verlegen.
»Doch, leider.«
»Ts ts ts, meine Güte! Na ja, keine Bange. Ich murks ihn ab – sobald ich dich abgemurkst habe.«
Noch beim Sprechen hob das Skelett den Finger. Wo eben noch der Dämon gestanden hatte, schossen grüne Flammen empor, doch der dunkelhäutige Junge schlug schon ein paar Saltos übers Pflaster und landete elegant auf einer Mülltonne. Wie auf Kommando drehten sich Kitty, Jakob und John Mandrake um und rannten los, in Richtung Torbogen und Straße. Kitty war die Schnellste, und sie war es auch, der als Erster auffiel, dass sich die Luft verdunkelte, dass das Morgenlicht zusehends verblasste, als würde es gewaltsam von etwas anderem verdrängt. Sie lief langsamer und blieb schließlich stehen. Schmale schwarze Zungen leckten und fingerten durch den Torbogen herein und dahinter wogte eine dunkle Wolke heran. Die Wolke war so groß und dicht, dass sie alles hinter sich verdeckte und den Hof von der Außenwelt abschnitt.
Was nun? Kitty sah Jakob ratlos an, dann schaute sie über die Schulter. Dem jungen Ägypter waren inzwischen Flügel gewachsen, und er schwirrte, von dem Gerippe verfolgt, kreuz und quer über den Hof.
»Nehmt euch vor dieser Wolke in Acht!« Die leise, zittrige Stimme gehörte John Mandrake. Er stand mit aufgerissenen Augen dicht hinter ihnen und ging langsam rückwärts. »Ich glaube, sie ist gefährlich.«
»Ach, auf einmal sorgst du dich um uns!«, schnaubte Kitty, doch auch sie wich zurück.
Immer größer wurde die Wolke. Eine schreckliche Stille umgab sie und sie verströmte einen betäubenden Geruch nach feuchter Erde.
Jakob berührte Kittys Arm. »Hörst du das…?«
»Ja.« Durch die Schwärze waren schwere Schritte zu vernehmen.
»Wir müssen hier raus«, raunte Kitty. »Los, wir laufen in den Keller.«
Sie machten kehrt und rannten zur Kellertreppe. Das Gerippe, das erfolglos magische Blitze nach dem wendigen Dämon geschleudert hatte, sah sie kommen und klatschte freudig in die Hände. Dann bebte wieder die Erde, das Kopfsteinpflaster knirschte. Der Sturz über der Kellertür brach mitten durch und Mauerbrocken krachten auf die Stufen. Als sich der Staub verzogen hatte, war keine Tür mehr da.
Mit zwei langen Sätzen war das Gerippe bei ihnen. »Der verflixte Dämon ist mir zu flink«, verkündete es. »Ich hab’s mir anders überlegt. Ihr beide kommt zuerst dran.«
»Wieso ich? Ich hab doch gar nichts gemacht!«, protestierte Jakob.
»Weiß ich doch, Jungchen.« In den Augenhöhlen flackerte es. »Aber du bist so schön lebendig und
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