Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
umwogte den Stab und sammelte sich um seine Spitze. Kitty blieb stehen. Es summte sacht, als brummte im Boden ein riesiger Bienenschwarm… dann vibrierte die Luft und das Pflaster bebte leise.
»Das kann gar nicht sein!«, sagte Bartimäus. »Das kann er unmöglich geschafft haben! Nicht gleich beim ersten Mal!«
Der Junge grinste noch breiter. Er wies mit Gladstones Stab auf den Golem, der verunsichert stehen blieb. Bunte Lichter umspielten den geschnitzten Knauf, das Gesicht des Jungen leuchtete von ihrem Widerschein und vor grausamer Genugtuung. Mit tiefer, herrischer Stimme rezitierte er einen komplizierten Bannspruch. Das Licht um den Stab flammte auf. Kitty musste die Lider zusammenkneifen und sich wegdrehen, der Golem wankte auf den Fersen nach hinten. Das Licht waberte, Funken stoben auf, dann schoss es erst am Schaft des Stabes herunter und dann den Arm des Zauberers entlang. Dem Jungen riss es den Kopf in den Nacken, er wurde von den Füßen gefegt, hochgehoben und mit einem dumpfen Aufprall gegen die Mauer geschleudert.
Der Stab entglitt seiner Hand und er blieb mit heraushängender Zunge liegen.
»Aha!« Bartimäus nickte wissend. »Fehlzündung. Hab ich mir doch gleich gedacht.«
»Kitty!« Jakob war schon fast am Torbogen und winkte hektisch seiner Freundin. »Noch können wir raus!«
Die massige Lehmfigur hatte sich erneut in Bewegung gesetzt und ging auf den am Boden liegenden Zauberer zu. Kitty machte ein paar zögernde Schritte, dann drehte sie sich noch einmal nach Bartimäus um.
»Was passiert jetzt?«
»Jetzt? Nach dem kleinen Missgeschick meines Herrn? Das ist doch ganz einfach: Ihr beide lauft weg, der Golem tötet Mandrake, schnappt sich den Stab und bringt ihn seinem Herrn, dem Zauberer, der ihn durch das dritte Auge lenkt.«
»Und du? Willst du ihm nicht helfen?«
»Gegen einen Golem kann ich nichts ausrichten, das habe ich schon einmal versucht. Außerdem sind alle Befehle meines Herrn aufgehoben, wenn ihr beide flieht – dazu gehört auch der Auftrag, ihn zu beschützen. Wenn Mandrake stirbt, bin ich frei. Weshalb sollte ich dem Dummkopf also aus der Patsche helfen?«
Der Golem war jetzt auf der Höhe der Limousine und der Leiche des Fahrers. Kitty sah wieder zu Mandrake hinüber, der bewusstlos an der Mauer lag. Sie biss sich auf die Lippe und wandte sich zum Gehen.
»Weißt du, es kommt ausgesprochen selten vor, dass ich mal tun kann, was ich will«, sagte der Dämon hinter ihr laut. »Wenn es überhaupt mal der Fall ist, wäre es ziemlich unvernünftig, etwas zu tun, womit ich mir selber schade, jedenfalls wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Daran zeigt sich mal wieder, dass ich euch Menschen mit eurem Gefühlswirrwarr haushoch überlegen bin. Gesunden Geisterverstand nennt man so was! Aber ist ja auch egal, nun lauft endlich! Es kann gut sein, dass deine Abwehrkräfte gegen den Golem nichts ausrichten. Es freut mich richtig, dass du dich genauso verhältst, wie ich es täte, und verduftest, solange du freie Bahn hast.«
Kitty seufzte und machte noch ein paar Schritte. Dann drehte sie sich abermals um. »Wenn ich an Mandrakes Stelle wäre, hätte er mir bestimmt nicht geholfen.«
»Ganz deiner Meinung. Du bist ein kluges Mädchen. Lauf weg und überlass ihn seinem Schicksal.«
Kitty betrachtete den Golem. »Er ist viel zu groß. Ich kann ihn sowieso nicht aufhalten.«
»Schon gar nicht, wenn er erst mal am Auto vorbei ist.«
»Ach – verdammt noch mal!« Kitty rannte los, aber nicht auf den entsetzten Jakob, sondern geradewegs auf den grobschlächtigen Riesen zu. Sie achtete nicht auf das taube Gefühl in ihrer schmerzenden Schulter, überhörte die entsetzten Rufe ihres Freundes, und vor allem ignorierte sie ihre innere Stimme, die sie verlachte, sie eindringlich warnte, sie zu überzeugen suchte, dass ihre Bemühungen von vornherein aussichtslos seien. Sie duckte sich und lief noch schneller. Sie war kein Dämon und kein Zauberer, sie war ihnen allen überlegen, war nicht wie sie von Habgier und Selbstsucht besessen. Sie lief um den Golem herum, sah den unebenen Rücken von Nahem, sog seinen scheußlichen Erdgeruch ein. Mit einem Satz stand sie auf der Kühlerhaube der Limousine und kletterte von dort aus auf das Dach des Wagens, sodass sie mit dem Oberkörper des Unholds auf einer Höhe war.
Die beiden blicklosen Augen glotzten starr wie bei einem toten Fisch, das dritte Auge aber blitzte wach und boshaft. Es richtete sich fest auf den ohnmächtigen Mandrake
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