Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
ausgestreckten Hand, und schaute Nathanael zweifelnd an. Er sah ihre Aura leuchten, unterschied in ihrem Widerschein die kleinsten Einzelheiten – die Rinde am Baum, die Adern auf den Blättern, die Steine und das Gras zu ihren Füßen. Es kam ihm vor, als färbte der Schein auf ihn ab, und seine Erschöpfung verflog.
Er machte einen kleinen Schritt und pochte mit dem Stab auf den Boden. Das Holz vibrierte sofort. »Bis nachher, Kitty.«
Sie legte das Amulett lächelnd wieder um. »Bis nachher. Bis nachher, Bartimäus.«
»Mach’s gut.«
Dann verschwand sie zwischen den Bäumen in Richtung Osteingang und Nathanael wandte sich ab. Er spürte, wie die Kraft des Dschinn ihn stärkte. Er spähte zu dem Ungeheuer hinüber, das einsam umherwatschelte, alles um sich herum kurz und klein schlug und vor Fressgier brüllte.
Na, Bartimäus, packen wir’s?
Warum nicht? Oder hast du was Besseres vor? Nö. Ich auch nicht.
V Kitty
Kitty war schon fast am Ausgang, als sie hinter sich einen gebieterischen Ruf hörte. Das Antwortgebrüll des Dämons ließ den Kies auf dem Weg rasseln und die Scheiben in den Glaskuppeln klirren. Kitty stieß die Tür auf und stürzte hinaus in die kalte, dunkle Nacht.
Ihre Knie drohten nachzugeben, ihre Arme waren bleischwer wie in einem Albtraum. Sie taumelte die Stufen hinunter und durch die Blumenrabatten, stolperte über Erdklumpen, wich gestutzten Hecken aus und lief so lange, bis sie eine freie Fläche erreicht hatte.
Sie hatte die Lichter des Glaspalastes im Rücken und ihr Schatten fiel vor ihr auf die angestrahlte Wiese. Weg, bloß weg… Wenn sie erst einmal aus dem Lichtschein heraus war, konnte sie eine Pause einlegen. Sie zwang sich zum Weiterlaufen, wurde aber immer langsamer, ihr Atem ging immer flacher, und ihre Glieder schmerzten immer heftiger, bis sie schließlich, trotz aller Wut und Verzweiflung, schwankend anhielt.
Im selben Augenblick vernahm sie ein dumpfes Grollen, das sich wie ein Ballon aufzublähen und wieder in sich zusammenzufallen schien. Die Wiese unter ihren Füßen hob und senkte sich wie von den Stoßwellen eines kleinen Erdbebens. Kitty drehte sich nach dem Glaspalast um und sank auf die Knie. Die orangefarbene Beleuchtung wurde von einem gleißenden Wabern aufgezehrt, das sich immer weiter ausbreitete, in die Kuppel emporstieg und sämtliche Scheiben bersten ließ, dass es in weitem Umkreis Glassplitter hagelte. Das Gleißen war so grell, dass man das Gebäude nicht mehr erkennen konnte, schon fiel es auf die Blumenrabatten, breitete sich rasend schnell aus und umfing Kitty, traf sie wie eine Springflut und warf sie auf den Rücken. Das Amulett von Samarkand schlug ihr ins Gesicht, sie sah es schwach aufglimmen und die tobenden Wesenheiten schlucken. Um sie herum herrschte ohrenbetäubendes Brausen. Das Gras brannte.
Dann verebbte das Wüten plötzlich und alles war still.
Kitty öffnete die Augen und stützte sich keuchend auf die Ellbogen.
Es war stockdunkel. In der Ferne loderte ein gewaltiges Feuer, davor zeichnete sich ein zusammengedrücktes Metallgebilde ab, dessen Träger und Streben verbogen und verdreht waren wie ein Knäuel aus dünnem Hühnerdraht. Unter Kittys Blicken fiel es allmählich zusammen und schmolz schließlich zu einem Klumpen. Mit leisem Ächzen sank es in die Flammen, die ihm entgegenzüngelten, ein letztes Mal aufflackerten und allmählich erloschen.
Kitty lag einfach da und schaute zu. Dann regnete es lautlos kleine Glassplitter vom Nachthimmel und im Nu glitzerte die Wiese wie mit Raureif bedeckt.
Kitty
37
Um halb zehn Uhr morgens, genau zwei Tage und fünf Stunden nach der Explosion im St James’s Park, traf sich das provisorische Kabinett der britischen Regierung zu einer Krisensitzung. Versammlungsort war ein geschmackvoll eingerichteter Konferenzraum im Arbeitsministerium, der von den Bränden in Whitehall einigermaßen verschont geblieben war. Blasses Sonnenlicht fiel durch die Fenster, es war für ausreichend Tee, Kaffee und Kekse gesorgt. Miss Rebecca Piper, die den Vorsitz innehatte, leitete die Sitzung mit spröder Tüchtigkeit. Vorrang hatten Tagesordnungspunkte wie die Einrichtung eines Hilfsfonds für Bedürftige, die Versorgung von Verletzten und die Umwidmung der beiden Militärkrankenhäuser zu diesem Zweck. Sodann wurde ein Ausschuss ins Leben gerufen, der Zugriff auf die Staatskasse hatte und unverzüglich den Wiederaufbau der Innenstadt einleiten sollte.
Anschließend befasste man sich mit
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