Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
Geschütze mehr für die!«
»Und was wird aus Ihren Stahlwerkern?«, fragte die alte Dame scharf. »Die einen landen im Tower, die anderen in der Themse. Und hinterher treten andere an ihre Stelle.«
»Die Dämonen werden sich noch umgucken«, entgegnete der junge Mann. »Ein paar von unseren Leuten haben nämlich Abwehrkräfte! Davon haben Sie doch bestimmt schon mal gehört. Die halten Angriffe aus, durchschauen Trugbilder…«
Als er das sagte, fiel bei Kitty endlich der Groschen. Man brauchte sich bloß den blonden Vollbart wegzudenken – natürlich, sie kannte den Mann! Es war Nick Drew, außer ihr der einzige Überlebende der Widerstandsbewegung. Nick Drew, der in ihrer dunkelsten Stunde aus der Westminster Abbey geflohen war und seine Freunde im Stich gelassen hatte. Inzwischen war er älter und kräftiger, spuckte aber immer noch große Töne. Übers Kämpfen reden kannst du immer noch prima, dachte sie bissig. Im Reden warst du schon immer ganz groß. Jede Wette, dass du dich verdrückst, wenn’s draufankommt. Plötzlich bekam sie Angst und trat ein Stück zurück, damit er sie nicht sehen konnte. Nick mochte ein Schwätzer sein, aber wenn er sie erkannte, flog ihre ganze Tarnung auf.
Die anderen Gäste diskutierten unterdessen lebhaft über Abwehrkräfte. »Die können Zauberei sehen, ganz deutlich«, sagte eine Frau mittleren Alters. »Hab ich jedenfalls gehört.«
Die alte Dame schüttelte wieder den Kopf. »Alles Gerüchte, gefährliche Gerüchte«, sagte sie bedauernd, »das sind doch unbewiesene Behauptungen. Würde mich nicht wundern, wenn die Zauberer diesen Klatsch selbst in Umlauf gebracht hätten, um euch zu unüberlegtem Handeln zu verleiten. Hat denn jemand hier«, fuhr sie fort, »solche Abwehrkräfte schon mit eigenen Augen gesehen?«
In der Kneipe herrschte Schweigen. Kitty trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und hätte gern etwas gesagt, aber Clara Bell hielt sich besser zurück, hatte sie beschlossen. Außerdem hemmte sie Nicks Anwesenheit. Sie sah sich um. Die Gäste, von denen sich die meisten schon jahrelang heimlich hier trafen, waren fast ausnahmslos mittleren Alters oder älter. Mit Abwehrkräften kannte sich keiner richtig aus, jedenfalls nicht aus eigener Erfahrung. Bis auf Nick Drew, der mindestens so ausgeprägte Abwehrkräfte hatte wie Kitty, aber ruhig dasaß und schwieg.
Die gute Stimmung war verdorben. Nach einer Weile stand der alte Mann mühsam auf. »Wir dürfen nicht den Mut verlieren, liebe Freunde! Vielleicht sind die Zauberer zu gefährlich, als dass wir sie bekämpfen können, aber auf ihre Propaganda brauchen wir immerhin nicht hereinzufallen. Heute ist eine neue Ausgabe der ›Wahren Kriegsgeschichten‹ erschienen. Schmeißt das Zeug in den Müll! Warnt eure Freunde vor diesen Lügen!«
Da ergriff George Fox das Wort. »Ich glaub, da urteilst du ein bisschen streng.« Er hob die Stimme und übertönte das allgemeine ungläubige Gemurmel. »Jawoll! Ich hab mir vorgenommen, so viele Ausgaben der ›Wahren Kriegsgeschichten‹ zu sammeln, wie’s geht.«
»Schämen Sie sich, Mr Fox«, rief die alte Dame mit zittriger Stimme. »Nein, ich steh dazu«, fuhr der Wirt fort. »Falls irgendwer heut Abend der Toilette einen Besuch abstatten muss, kann er sich vom Nutzen der Broschüren überzeugen. Die Dinger sind ausgesprochen saugfä
hig.« Alles lachte. Kitty ging die Gläser nachfüllen, wobei sie darauf achtete, dem blonden jungen Mann stets den Rücken zuzukehren.
»Es ist spät geworden«, verkündete der alte Herr, »wir müssen uns trennen. Aber vorher leisten wir noch wie üblich unseren Schwur.«
George Fox griff unter die Theke und förderte einen großen verbeulten Pokal zutage, auf dessen Deckel zwei Dominosteine über Eck standen. Der Pokal war aus massivem Silber. Der Wirt nahm eine dunkle Flasche von einem Bord, hob den Deckel ab und goss großzügig Portwein in das Gefäß. Kitty nahm den Pokal in beide Hände und trug ihn zu dem alten Herrn hinüber.
»Trinken wir alle daraus«, sagte der. »Auf dass wir den Tag noch erleben, an dem die Gewöhnlichen wieder ins Parlament einziehen. Auf dass das angestammte Recht aller Männer und Frauen wieder in Kraft trete, nämlich die Politik unserer Regierung kommentieren, diskutieren und kritisieren und sie für ihr Tun zur Rechenschaft ziehen zu dürfen.« Mit gebührender Würde setzte er den Pokal an die Lippen, trank einen Schluck und reichte ihn im Uhrzeigersinn an seinen Nachbarn
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