Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
Dame ließ die Finger spielen, brummelte zufrieden vor sich hin und sah sich im Schankraum um. Die Gäste flohen in alle Richtungen, kippten Tische um, stießen Stühle beiseite, rempelten einander an, schrien in Todesangst. Der blonde junge Mann duckte sich hinter ein Bierfass. Die Alte entdeckte George Fox, der auf eine Truhe neben dem Tresen zusteuerte. Noch ein blauer Blitz – aber George brachte sich mit einem Satz in Sicherheit. Ein Teil des Tresens zerbarst und es hagelte Glasscherben und Holzspäne. George Fox wälzte sich hinter einen Tisch.
Ohne auf das Geschrei und den Tumult zu achten, wandte sich die alte Dame erneut zum Gehen. Sie zupfte ihre Strickweste zurecht, strich sich das Haar aus dem entstellten Gesicht, stieg über den leblosen Sam hinweg und griff nach der Türklinke.
Abermals übertönte ein schriller Pfiff das Tohuwabohu. Die Alte hielt mit der Hand auf der Klinke inne und drehte sich mit schief gelegtem Kopf um.
Kitty, leicht schielend und mit zerfetzten, angekokelten Kleidern, das Haar gekräuselt wie aufgeribbelte Wolle, hatte sich wieder aufgerappelt, warf der alten Dame das Kästchen vor die Füße und sprach einen Befehl.
Ein blendender Blitz, und eine zwei Meter dicke Feuersäule stieg zur Decke empor. Obwohl die Säule aus lodernden Flammen bestand, war sie außen vollkommen glatt und hätte ebenso gut aus Marmor sein können. Sie umschloss die alte Dame von allen Seiten und man sah sie so reglos darin verharren wie ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt, mit grauen Haaren, Perlenkette, blauem Kleid, allem Drum und Dran. Die Säule verfestigte sich, wurde undurchsichtig, und die alte Dame war nicht mehr zu erkennen.
Das Licht verblasste, die Säule verschwamm. Dann löste sie sich auf und hinterließ auf den Dielen einen kreisrunden Brandfleck. Die Alte mit dem zerlaufenen Gesicht war weg.
Erst war alles totenstill. Der Schankraum war ein heilloses Durcheinander aus umgekippten Tischen, zerbrochenen Stühlen, Holzstücken, lang hingestreckten Leibern und verstreuten Dominosteinen. Nur Kitty stand keuchend da und blickte gebannt auf den Brandfleck.
Dann lösten sich die Gäste einer nach dem anderen aus ihrer Erstarrung. Sie krochen über den Boden, rappelten sich hoch, stöhnten und lallten vor sich hin. Kitty blieb stumm und beobachtete den verwüsteten Tresen. Am äußersten Ende tauchte Georges Kopf auf. Die beiden wechselten einen langen Blick.
Kitty hob die Augenbrauen. »Und jetzt?«
»Lass sie erst ein bisschen verschnaufen, dann können sie gehen. Die Wachkugel soll keinen Verdacht schöpfen.«
Steifbeinig stieg Kitty über einen Trümmerhaufen und ging um den toten Kellner herum. Sie schob einen unterdrückt schluchzenden Herrn beiseite, der in Richtung Tür wankte, und sperrte ab. Volle fünf Minuten blieb sie vor der Tür stehen, während sich die verschreckten Gäste allmählich fassten, dann ließ sie einen nach dem anderen hinaus.
Nicholas Drew hatte sich hinter seinem Fass vorgewagt und war der Letzte, der ging. Ihre Blicke trafen sich und er blieb kurz stehen.
»Hallo Kitty«, sagte er. »Noch genauso temperamentvoll wie früher, wie’s scheint.«
Kitty verzog keine Miene. »Nick.«
Der junge Mann strich sich das Haar glatt und knöpfte seinen Mantel zu. »Keine Bange. Ich vergess gleich wieder, dass ich dich getroffen hab. Hast dir wohl ’n neues Leben aufgebaut und so.« Er warf einen letzten Blick auf das Schlachtfeld. »Oder willst du dich vielleicht der ›Allianz der Gewöhnlichen‹ anschließen? Eine wie dich können wir gut gebrauchen.«
Kitty schüttelte den Kopf. »Nein danke. Ich bin zufrieden hier.«
Er nickte. »Na schön. Dann auf Wiedersehn. Und viel Glück.«
»Wiedersehen, Nick.« Sie schloss die Tür hinter ihm.
George Fox stand über den toten Sam gebeugt, weiße, verstörte Gesichter spähten aus der Küche. Kitty ließ sich mit dem Rücken gegen die Tür fallen und schloss die Augen. Ein einziger Dämon – ein Spitzel
– hatte diese Verwüstung angerichtet. In London gab es hunderte davon. Nächste Woche zur selben Zeit würden sich dieselben Gäste im »Frosch« versammeln, schwatzen, diskutieren und schließlich doch nichts unternehmen. Dabei wurden überall in London immer wieder Stimmen des Protests laut – und rasch und erbarmungslos mundtot gemacht. Demonstrieren war sinnlos. Reden war sinnlos. Es musste noch etwas anderes geben!
Womöglich war der Augenblick gekommen, ihren Plan in die Tat
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