Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
weiß nie, was man womöglich alles entfesselt.«
Es kostete Kitty große Überwindung, sich aufzurichten und ihn anzusehen. Ihr Haar war schweißfeucht. Sie fuhr mit den Fingern hindurch und wischte sich die Stirn. »Das wäre nicht nötig gewesen. Ich habe doch nur…«
»Du hast einen Namen ausgesprochen. Weißt du denn nicht, was ein Name anrichten kann?«
Kitty räusperte sich. Nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, war sie den Tränen nahe. Sie beherrschte sich nur mühsam. »Wenn es dir so wichtig ist, dich auf die Gegenwart zu beschränken«, brachte sie wütend heraus, »warum erscheinst du dann immer wieder in… in seiner Gestalt?«
»Du hältst dich wohl heute für besonders schlau, Kitty«, entgegnete der Junge verdrossen. »Wie kommst du darauf, dass ich irgendjemandes Gestalt angenommen habe? Sogar in geschwächtem Zustand kann ich aussehen, wie ich will.« Ohne sich vom Fleck zu rühren, wechselte er ein, zwei, fünf Mal die Erscheinung, und jede Gestalt war abstoßender als die vorige und jede hockte in derselben Haltung im Bannkreis. Er beschloss die Vorführung als plumpes, wuscheliges, riesiges Nagetier unbestimmter Rasse mit gekreuzten Hinterläufen und ärgerlich verschränkten Vorderpfoten.
Kitty ließ sich nichts anmerken. »Schon, aber normalerweise läufst du nicht als XXL-Hamster rum«, fuhr sie ihn an. »Jedes Mal verwandelst du dich irgendwann in den Jungen mit dem Lendenschurz. Wieso? Weil er dir nämlich früher einmal viel bedeutet hat. Ich brauchte nur noch herauszufinden, wer er ist.«
Der Hamster leckte sich die rosige Pfote und strich sich ein Fellbüschel hinters Ohr. »Ich bestätige diese abwegige Vermutung keineswegs«, entgegnete er, »aber aus reiner Neugier wüsste ich gern, wie du diesbezüglich vorgegangen bist. Es hätte ja irgendein beliebiger Junge sein können.«
Kitty nickte. »Stimmt, deshalb war es ja auch so knifflig. Nach unserer letzten Begegnung wollte ich unbedingt noch mal mit dir reden, aber außer deinem Namen, beziehungsweise einem deiner Namen, wusste ich nichts über dich. Das war wenig genug, denn ich hatte noch nicht mal eine Vorstellung, wie du dich schreibst, aber ich war sicher, dass du in irgendeinem alten Zauberbuch vorkommst. Deshalb habe ich beim Lesen und Lernen immer die Augen offen gehalten, ob ich dich irgendwo entdecke.«
Der Hamster nickte bescheiden. »Das kann ja nicht lange gedauert haben. In solchen Büchern muss es von Schilderungen meiner Heldentaten nur so wimmeln.«
»Ehrlich gesagt hat es fast ein Jahr gedauert, bis ich zum ersten Mal auf dich gestoßen bin. In den Büchern aus der Bibliothek tauchten alle möglichen Dämonen auf. Nouda der Schreckliche kommt in fast jedem Band vor, außerdem ein Afrit namens Tchue und eine Wesenheit namens Faquarl. Irgendwann habe ich dich schließlich doch noch gefunden. Du wurdest beiläufig in einer Fußnote erwähnt.«
Der Hamster plusterte sich auf. »Wie bitte? Was hast du denn für einen Mist gelesen? Bestimmt waren die besseren Bücher gerade ausgeliehen. In einer Fußnote, also nein!« Er brummelte ungehalten in seinen Kinnpelz.
»Das Problem war«, beeilte sich Kitty fortzufahren, »dass du nicht überall als Bartimäus vermerkt warst, deshalb habe ich dich oft nicht erkannt, auch wenn deine Taten natürlich lang und breit geschildert wurden. Aber die Fußnote hat mir weitergeholfen, denn dort wurde der Name, den ich schon kannte, Bartimäus von Uruk, in einem Atemzug mit zwei anderen erwähnt, nämlich Sakhr al-Dschinni – so hast du dich in Persien genannt, stimmt’s? – und Wakonda von den Algonquin. Danach entdeckte ich hier und dort einen Verw…, ich meine, danach bin ich alle naselang auf dich gestoßen. Ich habe einiges über deine Aufträge und Einsatzgebiete erfahren und dazu die Namen einiger deiner Herren, was ebenfalls hilfreich war.«
»Hoffentlich warst du gebührend beeindruckt.« Der Hamster klang immer noch reichlich verschnupft.
»Aber ja, klar doch. Hast du wirklich mit König Salomo gesprochen?«
»Wir haben mal ein paar Worte gewechselt«, brummte der Hamster mürrisch, schien aber ein bisschen besänftigt.
»Parallel dazu habe ich die Beschwörungskunst erlernt«, fuhr Kitty fort. »Mein Meister ist ziemlich langsam, und ich war vermutlich noch langsamer, aber irgendwann war ich so weit, dass ich mir zugetraut habe, dich zu rufen. Bloß hatte ich leider immer noch keinen Hinweis darauf entdeckt, wer der Junge mit dem Lendenschurz eigentlich
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