Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
den Boden. Ganz dicht am Kreidestrich. Nur einen halben Millimeter daneben. »Danach habe ich die Augen offen gehalten«, endete sie schlicht.
Ptolemäus richtete seinen Lendenschurz. »Klingt ja alles ganz nett, aber das ist noch lange kein Grund, einen unschuldigen Dschinn um seine verdiente Ruhe zu bringen. Meine Substanz braucht dringend Erholung. Mandrake hat mich«– ich zählte es rasch an Fingern und Zehen ab –»von den letzten siebenhundert Tagen an sechshundertdreiundachtzig herumgescheucht. So was geht nicht spurlos an einem vorbei. Ich bin wie der unterste Apfel in der Obstkiste, von außen glänzend und rotbackig und unter der Schale total zermatscht. Du hast mich sozusagen aus dem Sanatorium geholt.«
Sie legte den Kopf schief und sah mich von unten an. »Du meinst den Anderen Ort.«
»So kann man es auch nennen.«
»Tut mir Leid, dass ich dich gestört habe.« Es klang, als hätte sie mich versehentlich aus dem Mittagsschläfchen aufgeweckt. »Aber ich wusste ja nicht mal, ob ich es überhaupt hinkriege. Ich hatte Angst, dass ich die Technik noch nicht richtig beherrsche.«
»Deine Technik ist in Ordnung, sogar richtig gut. Das führt uns zu der entscheidenden Frage, nämlich wer dir beigebracht hat, wie man mich beschwört.«
Sie zuckte bescheiden die Achseln. »Ach, das war gar nicht so schwer. Weißt du, was ich glaube? Die Zauberer machen bloß ein solches Trara darum, damit wir Gewöhnlichen es nicht auch mal ausprobieren. Was ist schon groß dabei? Man zieht mit Lineal, Schnur und Kompass ein paar Striche, malt ein paar Runen, sagt ein paar Worte auf. Vorher besorgt man auf dem Markt noch eben ein paar Kräuter, dann konzentriert man sich, spricht eine auswendig gelernte Formel, schon ist die Sache geritzt.«
»Nein«, widersprach ich. »Soweit ich weiß, ist so etwas noch keinem Gewöhnlichen gelungen, du bist die absolute Ausnahme. Deshalb muss dir jemand geholfen haben. Mit den fremden Sprachen, den Runen und Pentagrammen, mit dieser abscheulichen Kräutermischung, überhaupt mit allem. Ein Zauberer. Wer war es?«
Das Mädchen drehte eine Haarsträhne um den Finger. »Seinen Namen werde ich dir nicht verraten, aber du hast Recht. Jemand hat mir geholfen. Natürlich nicht direkt bei dieser Beschwörung, der Betreffende hält mich eher für eine begeisterte Amateurin. Wenn er wüsste, was ich hier veranstalte, würde er einen Tobsuchtsanfall kriegen.« Sie lächelte. »Aber er liegt zwei Stockwerke unter uns im Bett und schläft tief und fest. Eigentlich ist er ganz nett. Wie auch immer, es hat eine Weile gedauert, aber es ist ganz gut gelaufen. Mich wundert, dass es nicht schon viel mehr Leute versucht haben.«
Ptolemäus musterte sie aus halb geschlossenen Augen. »Die meisten Leute«, erwiderte ich vielsagend, »haben wahrscheinlich ein bisschen Bammel, wen oder was sie dabei womöglich heraufbeschwören.«
Das Mädchen nickte. »Stimmt. Aber wenn man sich vor dem betreffenden Dämon nicht fürchtet, ist es halb so wild.«
»Wie bitte?«
»Na ja, ich weiß schon, dass was Schlimmes passieren kann, wenn man sich bei der Formel verspricht oder das Pentagramm nicht richtig gezogen ist und so, aber es liegt an dem betreffenden Dämon, ob er das ausnutzt, entschuldige, ich meine natürlich, an dem betreffenden Dschinn. Stimmt doch, oder? Hätte ich jetzt so einen ollen Afriten gerufen, dem ich noch nie begegnet bin, hätte ich mir auch ein bisschen Sorgen gemacht, ob ich ihn womöglich auf dem falschen Fuß erwische, aber wir beide sind doch alte Bekannte, du und ich, stimmt’s?« Sie lächelte mich liebenswürdig an. »Und bei dir wusste ich, dass du mir nichts tust, falls mir irgendein harmloser Fehler unterläuft.«
Ich beobachtete ihre Hände, die schon wieder dicht über dem Kreidestrich herumfuchtelten. »Tatsächlich?«
»Klar. Wir haben doch schon das letzte Mal ganz gut zusammengearbeitet, oder nicht? Du weißt schon, damals mit dem Golem. Du hast mir gesagt, was ich tun soll, und ich hab’s getan. Wir waren ein prima Team.«
Ptolemäus rieb sich die Augen. »Nur dass unsere Zusammenkunft unter etwas anderen Vorzeichen stand, wie du offenbar vergessen hast. Damals standen wir beide unter Mandrakes Knute. Ich war sein Diener, du sein Opfer. Uns beiden war daran gelegen, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen und dafür zu sorgen, dass wir selbst ungeschoren davonkommen.«
»Sag ich doch!«, rief sie. »Und wir…«
»Abgesehen davon hatten wir nichts
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