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Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers

Titel: Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Er wurde ganz still, verzog keine Miene, stand, wie zur Salzsäule erstarrt, da, als hätte jemand einen Film angehalten. Nur die Augen bewegten sich noch. Langsam, ganz langsam verschoben sich die Pupillen, bis sie schließlich auf Kitty ruhten. Seine Augen waren schon immer dunkel gewesen, jetzt aber wirkten sie kohlschwarz. Gegen ihren Willen musste Kitty den Blick erwidern. Es kam ihr vor, als schaute sie in einen wolkenlosen Nachthimmel, eine schwarze, kalte Unendlichkeit, in deren unerreichbarer Ferne winzige Lichter blinkten. Es war erschreckend und zugleich wunderschön. Sie wurde davon angezogen wie ein kleines Kind von einem Fenster. Bis dahin hatte sie im Schneidersitz in ihrem Bannkreis gehockt, jetzt verlagerte sie ihr Gewicht auf die Knie, stützte sich mit einer Hand ab und streckte die andere nach diesen Augen aus, nach ihrem abwesenden, leeren Blick. Ihre Finger verharrten bebend über der Umrandung des Pentagramms. Sie seufzte, zögerte, streckte die Hand noch weiter aus…
    Der Junge blinzelte, seine Lider zuckten wie bei einer Eidechse. Der Bann war gebrochen. Kitty erschauerte und zog die Hand ruckartig zurück. Sie kauerte sich wieder im Schneidersitz hin, Schweißtropfen standen ihr auf der Stirn. Der Junge regte sich immer noch nicht.
    »Was erdreistest du dich zu behaupten, du wüsstest etwas über mich?«, sagte jemand.
    Die Stimme kam von überall, war nicht laut, sondern ganz nah und glich keiner Stimme, die Kitty je gehört hatte. Der Betreffende sprach zwar Englisch, aber mit einer eigenartigen Betonung, als sei ihm die Sprache ungewohnt und fremd. Er schien dicht bei Kitty zu stehen und zugleich unermesslich fern zu sein.
    »Was weißt du über mich?«, ertönte es noch leiser als zuvor. Der Dschinn bewegte die Lippen nicht und hatte die schwarzen Augen fest auf das Mädchen gerichtet. Kitty duckte sich zitternd und mit zusammengebissenen Zähnen. Der Klang der Stimme schüchterte sie ein, aber warum nur? Er war nicht drohend, auch nicht besonders zornig, aber es war eine machtvolle Stimme, die von weit, weit her kam, eine Stimme von schrecklicher Befehlsgewalt und zugleich eine Kinder-stimme.
    Kitty schüttelte benommen den Kopf und blickte zu Boden.
    »ANTWORTE!« Diesmal war die Stimme tatsächlich zornig und von gewaltigem Lärm begleitet. Ein Donnerschlag erschütterte das Fenster und pflanzte sich in den Dielen fort, sodass sich Putzplacken von den Wänden lösten. Die Tür schlug zu (Kitty hatte sie weder geöffnet noch mitbekommen, dass sie aufgegangen war), die Fensterscheibe zerbrach und die Scherben fielen klirrend auf den Boden. Ein Wirbelsturm fegte durchs Zimmer, schleuderte die Gefäße mit Rosmarin und Eberesche gegen die Wände, erfasste das Buch und die Leuchter, Kittys Büchertasche und ihren Mantel, riss heulend und pfeifend alles mit sich, drehte sich schneller und immer schneller, bis Kitty nur noch verschwommene Schlieren erkannte. Dann bewegten sich sogar die Zimmerwände, lösten sich vom Boden und nahmen teil an dem irren Tanz, spien in ihrem Wirbeln Ziegel aus, die kreiselnd bis unter die Zimmerdecke trudelten. Schließlich war auch die Decke verschwunden und der beängstigend weite Nachthimmel breitete sich über Kitty, Mond und Sterne drehten sich, und die Wolken zerfaserten zu bleichen Streifen, die nach allen Richtungen strebten, bis Kitty und der Junge in ihren Pentagrammen die einzigen Fixpunkte im ganzen Universum waren.
    Kitty hielt sich die Augen zu und klemmte den Kopf zwischen die Knie.
    »Hör auf!«, schrie sie. »Bitte hör auf!«
    Der Tumult ebbte jäh ab.
    Kitty öffnete die Augen, sah aber nichts. Sie hielt immer noch die Hände vors Gesicht.
    Ängstlich und verkrampft hob sie den Kopf und ließ die Hände sinken. Das Zimmer sah aus wie immer, nichts hatte sich verändert, Tür, Buch, Leuchter und Fenster, Wände, Decke, Fußboden und vor dem Fenster ein friedlicher Himmel. Nichts war zu hören, bis auf… Der Junge im benachbarten Bannkreis regte sich, beugte wie in Zeitlupe die Knie – und ließ sich unvermittelt in den Schneidersitz fallen, als hätte ihn alle Kraft verlassen. Mit geschlossenen Augen fuhr er sich matt übers Gesicht.
    Dann blickte er sie an und jetzt waren seine Augen nicht mehr so erschreckend leer. Seine Stimme klang wieder normal, wenn auch müde und traurig. »Wenn jemand einen Dschinn ruft, beschwört er zugleich dessen Geschichte herauf, deshalb ist es ratsam, sich strikt auf die Gegenwart zu beschränken, denn man

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