Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
wie sich die Eidechse verzweifelt gegen den ersten Spinnenwächter gewehrt hatte. Asmira hatte da zum ersten Mal richtig begriffen, wie ganz und gar abhängig sie von ihrem Sklaven war, ob es ihr nun gefiel oder nicht. Ohne Bartimäus wäre sie nie so weit gekommen. Ohne Bartimäus würde sie ihr eigentliches Ziel nie erreichen.
Sie selbst konnte sich höchstens etwas darauf zugutehalten, dass sie den Mut und die Willenskraft besessen hatte, den Dschinn zu beschwören, dass sie die günstige Gelegenheit beim Schopf gepackt hatte, die sich ihr unversehens geboten hatte. Das war einfach nur Glück gewesen. Auf sich gestellt, hätte sie an Salomos Hof trotz ihrer Fähigkeiten und ihrer langjährigen Ausbildung kaum etwas ausrichten können. Sie hätte das Vertrauen der Königin enttäuscht und wäre kläglich gescheitert.
Dieses Wissen um ihre Grenzen, um ihre eigene Schwäche überwältigte Asmira und es geschah, was in solchen Augenblicken immer geschah. Vor ihrem inneren Auge sah sie wieder ihre Mutter auf dem königlichen Wagen stehen, von den Attentätern bedrängt. Sie sah die Messer aufblitzen und spürte abermals jene entsetzliche Hilflosigkeit – die Hilflosigkeit einer Sechsjährigen, die viel zu schwach und viel zu weit weg war, um der Mutter beizustehen.
Vor allem dieses Gefühl machte ihr zu schaffen, sodass sie beinahe froh gewesen war, als der zweite Wächter aus seinem Loch gekrochen kam und sie ihm mit einem gezielten Dolchwurf den Garaus machen konnte. Wie immer verschaffte ihr das Handeln Erleichterung und ihr Kummer wurde von der Freude an der eigenen Geschicklichkeit überdeckt. Sobald die Klinge aufblitzte, verflüchtigte sich die Erinnerung an ihre Mutter, jedenfalls vorerst, und Asmira kehrte wieder in die Gegenwart zurück. Es machte ihr nun nichts mehr aus, dass der Dschinn sie auf dem letzten Stück noch wüster beutelte. Als er sie schließlich auf dem Balkon absetzte, war Asmira wieder die Alte.
Der Balkon führte einmal um den ganzen Turm herum. Zwischen den Säulen waren Statuen aufgestellt, hier und da standen Stühle und Tische. Über ihnen ragte die Kuppel des Turmes in den Nachthimmel. Asmira entdeckte auch einen bogenförmigen Durchgang, der in die Kuppel hineinführte und hinter dem es dunkel war.
Sie drehte sich um. Tief unter ihr lagen die Gärten im silbrigen Sternenlicht. Im Südteil sah man bunte Lichtpünktchen umherhuschen.
Eine kleine Wüstenkatze mit langen, spitzen Ohren und schlankem Leib hockte auf der steinernen Brüstung, den gestreiften, flauschigen Schwanz um die Vorderpfoten gelegt, und beobachtete die Lichter.
»Die Dummköpfe rennen immer noch um die Schatzkammer herum und jagen Phantome«, sagte die Katze, schüttelte mitleidig den Kopf und blickte Asmira mit großen violetten Augen an. »Stell dir vor, du hättest einen von denen beschworen. Bist du nicht froh, dass du mich genommen hast?«
Asmira blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es irritierte sie ein wenig, dass der Dschinn offenbar Gedanken lesen konnte. »Du kannst genauso froh sein«, sagte sie trotzig. »Schließlich habe ich dich aus der Flasche befreit und das zweite Spinnenvieh abgemurkst.« Sie blickte auf ihren Gürtel. Nur noch zwei Dolche – aber das müsste wohl genügen.
»Ich würde sagen, wir können alle beide heilfroh sein, dass wir noch am Leben sind«, erwiderte die Katze und sprang geräuschlos auf den Boden. »Mal sehen, ob uns das Glück auch weiterhin hold ist.«
Mit steil aufgerichtetem Schwanz und gesträubten Schnurrhaaren schlich die Katze von einer Säule zur nächsten. »Keine Siegel, keine Stolperfallen, keine Fühler…«, brummelte sie vor sich hin. »Salomo verlässt sich offenbar ganz auf seine Wächter. Und der Durchgang… keine Tür, nur schwere Vorhänge. Dass einem der Zutritt so leicht gemacht wird, könnte man fast verdächtig finden… und das mit gutem Grund, denn auf der siebten Ebene ist ein Abwehrnetz gespannt.« Die Katze drehte sich nach Asmira um, die näher gekommen war. »Damit du Bescheid weißt: Das Netz sieht aus wie eine große schillernde Spinnwebe. Eigentlich sehr hübsch, nur leider in Alarmbereitschaft.«
»Und was machen wir jetzt?«
»D M machst am besten das, was du immer machst: rumstehen und finster dreinschauen. Mir stehen da schon andere Möglichkeiten zur Verfügung. Sei mal kurz still, ich muss nachdenken…«
Die Katze hockte reglos vor dem Durchgang und musterte ihn eindringlich. Dann fauchte sie leise, hob ein,
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