Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
Höhe.
»Gezeri!«, knurrte ich. »Hab ich’s mir doch gedacht, elender Spitzel! Aber diesmal mache ich dich fertig, bevor du auch nur…«
Der Foliot streckte mir grinsend die Zunge heraus und zeigte nach Süden.
Ich drehte mich um.
Mist.
Über den fernen Palastdächern stieg eine schwarze Rauchwolke senkrecht in den Himmel empor, eine Säule aus Wind und Feuer, die rasch heranfegte. Die Feuersäule spie rote Blitze aus, brodelte und strudelte in rachsüchtigem Wüten und kam quer über die Gartenanlagen auf Salomos Turm zugerast.
Asmira
32
W as Asmira betraf, erschien die Feuersäule zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, nämlich gerade, als ihre Entschlossenheit sie verlassen hatte.
Sie stand an der Brüstung und sah zu, wie der Orkan aus strudelnden Flammen über Bäume und Rasenflächen hinwegfegte, alles ringsum in Brand steckte und blutrot färbte. Sie hörte den Wind heulen, hörte den kleinen Dämonen hämisch lachen, hörte Bartimäus warnend rufen…
Das alles sah und hörte sie sehr wohl, aber sie unternahm nichts.
Trotz aller Mühsal und der vielen Gefahren ihrer Unternehmung hatte Asmira die ganze Zeit über jene eiserne Disziplin aufrechterhalten, die sie sich in langen, einsamen Jahren angeeignet hatte. Der Aufenthalt im Palast, die Unterredung mit Salomo, sogar der Zusammenstoß mit dem Ringgeist – nichts hatte sie entmutigen können. Sie war bereit, ein Opfer zu bringen, weil sie es sinnvoll fand. Diese Gewissheit machte sie entschlossen, und die Entschlossenheit bestärkte sie in ihrer Gewissheit. Mit heiterem Gleichmut hatte sie ihrem Tod entgegengesehen.
Aber dann war nicht der Tod in Salomos Gemach erschienen, sondern Bartimäus. Unversehens war ihr der König ausgeliefert, der Ring befand sich in ihrem Besitz und sie war noch am Leben. Auf einmal schien alles möglich… Und ausgerechnet da stellte Asmira fest, dass sie nicht mehr sicher war, was sie tun sollte.
Salomos Bericht, sein körperlicher Verfall, seine unvermittelte Wehrlosigkeit, seine Behauptung, er habe Saba niemals erpresst… Mit alldem hatte sie nicht gerechnet. Es widersprach allem, was sie zuvor geglaubt hatte. Dazu kam der Ring selbst, der seinen Träger angeblich zum glücklichsten Menschen der Welt machte – nur dass der Betreffende schreckliche Qualen auszustehen hatte und vorzeitig alterte. Asmira dachte an Salomos verwüstetes Gesicht, an den brennenden Schmerz, als sie selbst den Ring angefasst hatte… Auf einmal stand ihre ganze Welt kopf.
Anfangs hatte Asmira ihre Verwirrung noch verdrängt, weil sie ihren Auftrag irgendwie zu Ende bringen wollte. Aber dann hatten Bartimäus’ Worte bewirkt, dass ihre geheimsten Gedanken und Beweggründe plötzlich ganz offen im Sternenlicht vor ihr ausgebreitet lagen.
Vieles von dem, was er sagte, hatte sie insgeheim immer gewusst, schon seit damals, als ihre Mutter auf dem Schoß der gleichgültigen Herrscherin zusammengebrochen war. Aber sie hatte es jahrelang geleugnet, hatte sich auf ihre verbissene Treue zu Balkis und die Freude an den erlernten Fähigkeiten konzentriert. Aber jetzt, in dieser kühlen, sternklaren Nacht, begriff sie, dass sie sich nicht mehr auf ihr früheres Selbst und dessen Ziele stützen konnte. Ihre Tatkraft und ihr Selbstvertrauen hatten sich mit einem Mal in Luft aufgelöst, die ganze Erschöpfung aus den vergangenen beiden Wochen lastete jäh auf ihren Schultern. Sie kam sich zugleich bleischwer und hohl wie eine leere Hülse vor.
Und die Wolke kam immer näher.
Der Dschinn kam angerannt. Mit einer Hand hielt er den kleinen Dämonen gepackt, mit der anderen streckte er ihr die Pergamentkugel hin. »Der Ring!«, rief er. »Steck ihn an den Finger!«
Asmira wurde aus ihren Gedanken gerissen. »Wie bitte? Das – das kann ich nicht.«
»Bist du blind? Dort kommt Khaba!« Bartimäus stand jetzt neben ihr, immer noch in der Gestalt des braunhäutigen Jünglings. Er drückte ihr die Pergamentkugel energisch in die Hand. »Los, steck ihn an! Sonst ist es aus mit uns beiden!«
Die Hitze des Ringes drang durch das Pergament. Asmira ertastete den Ring unter der Verpackung und hätte die Kugel dabei beinahe fallen lassen. »Ich? Nein… das geht nicht. Warum setzt du ihn…?«
»Weil das nun überhaupt nicht geht!«, rief der Dschinn. »Der Sog des Anderen Ortes würde mich entzweireißen! Los jetzt! Khaba ist gleich hier!« Der junge Sumerer sprang auf die Balkonbrüstung, klemmte den Foliot unter den Arm und feuerte eine
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