Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
widersprüchlich und war schrecklich unsicher, dazu kam ihr beispielloses Talent, unsinnige Entscheidungen zu treffen. Sie hatte mir die vermutlich schlimmste Nacht eingebrockt, die ich in zweitausend Jahren erlebt hatte, aber als wir Salomo den Ring klauten, war sie an meiner Seite geblieben. Sie hatte so lange gezögert, den Ring selbst zu benutzen, bis es zu spät war, aber sie hatte Khaba ohne jedes Zaudern den Finger abgehackt. Das war aller Voraussicht nach mein Todesurteil, aber sie hatte sich wortreich dafür entschuldigt. Eine echt schräge Mischung, die einen in den Wahnsinn treiben konnte.
Im Grunde hätte ich ihren Befehl einfach irgendwie unterlaufen und Ammet den Ring zuwerfen sollen. Dann hätte ich das Mädchen und alles andere in Khabas Obhut lassen und an den Anderen Ort heimkehren können. Faquarl an meiner Stelle hätte bestimmt etwas in dieser Richtung gedeichselt, noch ehe das Palastgelände hinter ihm lag, und er hätte sich dabei noch ins Fäustchen gelacht. Für mich war das leider nichts.
Das lag einerseits daran, dass ich meine Feinde gründlich verabscheute und ihre Pläne nur zu gern durchkreuzt hätte. Andererseits besitze ich einen ausgeprägten Sinn für die Ordnung der Dinge. Meine Geschicklichkeit und mein Einfallsreichtum hatten den Ring in unseren Besitz gebracht, es war mein Vorschlag gewesen, ihn ins Meer zu werfen. Kurz gesagt: Ich hatte die Sache stilvoll angefangen und wollte sie gern auf meine Art zu Ende bringen.
Außerdem wollte ich nicht, dass das Mädchen dabei draufging.
Aber zuallererst musste ich die Küste lebendig erreichen, und zwar mit einem ordentlichen Vorsprung. War Ammet dicht hinter mir, wenn ich den Ring ins Meer warf, würde er das blöde Ding einfach wieder herausfischen und womöglich meinen durchlöcherten Leichnam als Netz benutzen. Ich musste den Burschen irgendwie loswerden.
Ammet war ein Marid. Mich auf einen offenen Zweikampf mit ihm einzulassen, bedeutete meinen sicheren Tod. Aber vielleicht konnte ich ihn ja anderweitig ausbremsen.
Der Phönix flog über eine Bergkuppe. Sein Schnabel warf mittlerweile von der Aura des Ringes Blasen. Der Schatten jagte auf schwarzen Schwingen hinterher. Jenseits des Berges lag ein dicht mit Pinien bestandenes Tal. Im Morgengrauen erkannte man einige Lichtungen dort, wo Holzfäller am Werk gewesen waren. Die Phönixaugen leuchteten freudig auf. Ich ging in den Sinkflug über und mein verräterischer Feuerschweif erlosch.
Ammet hatte den Berg gerade rechtzeitig überquert, um mich verschwinden zu sehen. Auch er tauchte nun unter das Dach der Baumkronen und verharrte mit gespitzten Ohren im harzduftenden Zwielicht.
»Wo steckst du, Bartimäus?«, raunte er. »Komm schon, zeig dich!«
Schweigen im Walde.
Der Schatten schlängelte sich geschmeidig zwischen den Stämmen hindurch.
»Ich wittere dich, Bartimäus! Ich wittere deinen Angstschweiß!« 116
Wie erwartet, bekam er auch darauf keine Antwort. Er huschte weiter bergauf.
Dann vernahm er ein gedämpftes Frrt, Frrt, Frrt.
»Ich höre dich, Bartimäus, ich höre dich! Sind das deine schlotternden Knie?«
Frrt, frrt, frrt.
Der Schatten huschte weiter. »Oder deine klappernden Zähne?«
Es war weder das eine noch das andere. Jeder Geist mit ein bisschen Pfadfindererfahrung hätte das sogleich erkannt. 117 Das Geräusch rührte daher, dass ich zwei Baumstämme, die ich in der Nähe eines Holzfällerlagers entdeckt hatte, mithilfe einer Kralle fein säuberlich anspitzte. Ich bastelte mir zwei schöne spitze Pfähle.
»Letzte Aufforderung, Bartimäus! Überlass mir den Ring! Ich sehe seine Aura durch die Bäume schimmern. Du kannst ihn nicht vor mir verbergen. Wenn du ihn jetzt fallen lässt, magst du ungehindert fliehen!«
Der Schatten huschte lauschend weiter. Das Geräusch verstummte, der Schatten hielt inne. Immer noch schimmerte vor ihm die Aura von Salomos Ring.
Rasch kam er näher, lautlos wie schwarzer Schnee, folgte der Strahlung der Aura zu ihrem Ursprung.
Der sich als Baumstumpf am Rande einer Lichtung entpuppte. Oben auf dem Baumstumpf stand, provozierend an einen Pinienzapfen gelehnt, Khabas Finger. Am Ende des Stummels pulsierte der Ring munter vor sich hin.
Jeder Geist, der (wie die meisten meiner Kollegen) Erfahrung mit der Plünderung sumerischer Grabkammern hatte, hätte sofort Verdacht geschöpft. Wir hatten uns zu oft mit allen möglichen magischen Fallen herumschlagen müssen, als dass wir angesichts eines unschuldigen
Weitere Kostenlose Bücher