Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
den Palast in nördlicher Richtung verließ und dann in weitem Bogen über die Zedernwälder flog, erreichte ich das Meer womöglich unbehelligt.
Ich segelte den Gang entlang und hielt mich immer dicht an den qualmenden Brandherden. Am Ende des Ganges bog ich nach rechts in den Sumerischen Anbau ab, dessen Wände Standbilder von Priesterkönigen säumten, denen ich einst gedient hatte. 113 In der gegenüberliegenden Wand gab es ein großes Fenster, durch das ich mich nach Norden davonstehlen konnte. Der Phönix nahm Geschwindigkeit auf…
… und entkam mit knapper Not der Detonation, die den Fußboden hinter mir aufriss. Ein Standbild regte sich und warf seinen Tarnzauber ab wie einen Umhang. Krallenbewehrte Hände griffen nach mir und rupften mir mehrere Federn aus dem Feuerschweif.
Ich wich den langen, nach mir ausholenden Armen im Zickzackflug aus.
»Gib’s auf, Bartimäus!«, rief die sanfte Stimme hinter mir her. »Lass den Ring fallen und ich verschone dich!«
Darauf erwiderte ich nichts, was natürlich unhöflich war, aber mit vollem Schnabel spricht man nicht. Im nächsten Augenblick schoss ich durch das Fenster in die Dunkelheit hinaus.
Wie ist dir eigentlich bei einer Verfolgungsjagd auf Leben und Tod zumute? Bist du vor Furcht ganz benommen? Überkommt dich anhaltende Panik oder hast du nur gelegentliche Anfälle von Scheißangst?
Alles sehr verständlich. Ich für meinen Teil denke während einer Verfolgungsjagd gern nach. Keiner stört einen, man ist allein und all die anderen Problemchen werden bedeutungslos. Das wichtigste Thema heißt natürlich: »Wie bleibe ich am Leben?«, aber auch andere Dinge sieht man in neuem Licht, was zu ganz neuen und manchmal überraschenden Erkenntnissen führt.
Während ich also durch die dahinschwindende Nacht westwärts flog, Hügel und Täler wie Wellen unter mir dahinwogten und Khabas Schatten immer dichter zu mir aufschloss, betrachtete ich meine Lage noch einmal von allen Seiten.
Ich kam zu folgendem Resümee: Ammet würde mich bald einholen. Ein Phönix mag noch so schnell fliegen, er kann seine Höchstgeschwindigkeit nicht ewig durchhalten. Schon gar nicht, wenn er kürzlich von einem Schüttler außer Gefecht gesetzt wurde, und erst recht nicht, wenn er einen derart zaubermächtigen Gegenstand trägt, dass er ihm den Schnabel wegschmilzt. 114 Der Marid, der viel größer war als ich und bis zur Halskrause voller zaubermächtiger Magie, hatte zu Beginn der Jagd ein wenig Boden verloren, aber das machte er jetzt wieder wett, da ich allmählich erlahmte. Jedes Mal, wenn ich den Kopf wandte, sah ich seinen tiefschwarzen Umriss nur ein halbes Tal hinter mir. Und er kam immer näher.
Ich musste davon ausgehen, das Meer nicht zu erreichen.
Hatte mich Ammet erst eingeholt, musste ich mit dem Schlimmsten rechnen. Erstens würde er mich umbringen (das war der Punkt, der mir am meisten Kopfzerbrechen bereitete). Zweitens gelangte Khaba dann wieder in den Besitz des Ringes. Er hatte ihn kaum fünf Minuten am Finger gehabt und schon lag Salomos Palast in Trümmern. Anscheinend war das der von ihm bevorzugte Regierungsstil. Wenn er mehr Muße hatte, würde Khaba in maßlos blinder Wut Tod und Verderben über die Völker der Erde bringen. Drittens – und das war eigentlich das Schlimmste – würde ich das alles nicht mehr erleben. Oder habe ich das bereits erwähnt?
Der Phönix flog weiter. Ab und zu leuchtete die Landschaft unter mir auf, wenn Ammet einen Blitz auf mich abfeuerte. Ich wich aus, ging in Schräglage und vollführte alle möglichen Flugkunststückchen, während die Schüttelkrämpfe und Flutzauber an mir vorbeisausten und unter uns Bäume und Bergflanken verwüsteten.
Schuld an meiner unangenehmen Lage hatte natürlich das Mädchen. Hätte sie auf mich gehört und den Ring übergestreift, wäre das alles nicht passiert. Vielmehr hätte sie Ammet vernichten und Khaba töten, nach Saba zurückkehren, ihre Auftraggeberin verjagen und sich selbst zur Königin krönen können. Das alles hätte sie noch vor dem Frühstück erledigen und sich anschließend entspannt zurücklehnen und eine Bauchtanzvorführung genießen können.
So hätten es jedenfalls meine vorigen Herren gehalten. 115 Aber nicht Asmira.
Sie war wirklich eine sonderbare Person. Einerseits hatte sie mehr Zielstrebigkeit und Mut in der schön geschwungenen Augenbraue als so mancher Zauberer, mit dem ich zu tun gehabt hatte, im ganzen Leib. Andererseits handelte sie oft
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