Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
sich wieder zur Straße um.
Der Bettler war schon weit weg, hüpfte und humpelte mit gesenktem Kopf und flatternden Lumpen dahin und holte dabei schwungvoll mit der Krücke aus. Noch ein paar Schritte, dann wäre er um die Ecke.
Asmira zielte sorgfältig.
Am folgenden Tag machten die Bewohner der Häuser in der Tintengasse an der Ecke Gewürzgasse kurz nach Sonnenaufgang eine grausige Entdeckung. Vier Leichen lehnten ordentlich nebeneinander aufgereiht an einer Hauswand, sieben Beine streckten sich auf den Bürgersteig. Alle vier waren stadtbekannte Sklavenhändler und Landstreicher gewesen, und jeder war mit einem gezielten Stich getötet worden.
Ungefähr zur gleichen Zeit verließ eine Karawane von dreißig Kamelen den Marktplatz von Eilat und trat die lange Reise nach Jerusalem an. Auf einem der Kamele saß Asmira.
Bartimäus
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B esir war schuld. Er sollte Wache halten, aber sein Ausguck in der Zypresse war wohl ein bisschen zu bequem, dazu kamen die Mittagshitze, der Harzduft und der gut gepolsterte Kobold, der ihm als Kissen diente. Besir schlummerte sanft ein und bekam nicht mit, dass Salomo im Anmarsch war. Das muss man erst mal bringen, denn erstens war der König ungewöhnlich hochgewachsen, zweitens wurde er von sieben Zauberern, neun hohen Würdenträgern, elf Sklaven, dreiunddreißig Kriegern und einer stattlichen Abordnung seiner siebenhundert Frauen begleitet. Allein das Geraschel ihrer Gewänder machte einen Lärm wie ein vom Sturm gepeitschter Wald, und da obendrein die Würdenträger die Sklaven anbrüllten, die Sklaven mit ihren Palmwedeln wedelten, die Krieger mit ihren Schwertern schepperten und die Ehefrauen pausenlos in den verschiedensten Sprachen durcheinanderschwatzten, waren Salomo und sein Hofstaat eigentlich kaum zu überhören. Darum hörte unsere Truppe auch ohne einen Warnruf Besirs rechtzeitig mit dem Unsinn auf.
Nur ich nicht.
Die Sache war nämlich die, dass ich ganz hinten in der Reihe stand. Meine Aufgabe war es, die tonnenschweren Blöcke aus dem Steinbruch zu hieven, sie in die Luft zu schnicken, auf einem Finger wieder aufzufangen, sie kreiseln zu lassen und zum Abschluss lässig zu Tivok rüberzuwerfen. Tivok reichte den Block sodann an Nimschik, Faquarl, Khosro oder einen anderen Kollegen weiter, die alle in den abwegigsten Erscheinungsformen 31 auf der Baustelle herumlungerten beziehungsweise -schwebten. Der Letzte in der Kette beförderte den Quader sodann mit einem treffsicheren Wurf an die vorgesehene Stelle, sprach einen kurzen Ausrichtezauber, und Salomos Tempel war der Vollendung wieder einen Stein näher. Das Ganze dauerte vom Steinbruch bis hinauf auf die Tempelmauer ungefähr fünfunddreißig Sekunden. Wunderbar. Eine Effizienz, für die jeder Arbeitgeber seinen rechten Arm gegeben hätte.
Nicht so Salomo. Er war strikt gegen unsere zeitsparenden Maßnahmen. 32
Dir ist bestimmt schon aufgefallen, dass sich auf der Baustelle inzwischen einiges getan hatte. Als uns Khaba und Gezeri noch im Nacken saßen, hatten wir brav nach Vorschrift gearbeitet und unsere Menschengestalt beibehalten. Durch unser vorbildliches Betragen und den Fortschritt der Arbeiten womöglich ermutigt, besuchte der Zauberer die Baustelle immer seltener. Bald blieb auch Gezeri weg. Aus Furcht vor der Peitsche verhielten wir uns anfangs noch wie gehabt, aber schon am zweiten Tag, an dem wir uns selbst überlassen waren, sank die Moral rapide. Mit einer Mehrheit von sechs gegen zwei 33 stimmten wir darüber ab, dass der Arbeitsablauf mit sofortiger Wirkung abgewandelt werden sollte.
Wir richteten einen Ausguck ein und vertrödelten unsere Zeit mit Faulenzen, Glücksspielen, Koboldwerfen und philosophischen Streitgesprächen. Wenn wir ein bisschen Bewegung brauchten, beförderten wir mittels magischer Methoden ein paar Steine an Ort und Stelle, damit es aussah, als würden wir arbeiten. Gegenüber der Schufterei zuvor ein Riesenfortschritt.
Unseligerweise traf Salomo – der noch nie auf die Idee gekommen war, der Baustelle einen Besuch abzustatten – ausgerechnet während eines jener Auflockerungspielchen bei uns ein. Und weil Besir schlief, warnte mich keiner.
Die anderen standen weiter vorn und konnten rechtzeitig reagieren. Super. Als der königliche Tross scheppernd, schimpfend und schwatzend zum Stehen kam, hatten meine sieben Kollegen längst wieder Menschengestalt angenommen und hämmerten und meißelten emsig, als könnten sie kein Wässerchen trüben.
Und
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