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Bartleby, der Schreiber

Bartleby, der Schreiber

Titel: Bartleby, der Schreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Melville
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nicht, wie?« knirschte Nippers – »ich an Ihrer Stelle würde ihn lieber mögen , Sir«, wandte er sich an mich – »ich würde ihn lieber mögen ; ich würde ihm mein Liebermögen zeigen, dem störrischen Esel! Bitte, Sir, was ist es, was er jetzt lieber nicht möchte ?«
    Bartleby rührte sich nicht.
    »Mr. Nippers«, sagte ich, »ich möchte lieber, daß Sie sich vorerst zurückziehen.«
    Irgendwie war ich neuerdings in die Angewohnheit verfallen, bei jeder nicht ganz passenden Gelegenheit unwillkürlich den Ausdruck »möchte lieber« zu gebrauchen. Und ich zitterte bei dem Gedanken, mein Kontakt mit dem Schreiber habe mich in geistiger Hinsicht bereitsernstlich angesteckt. Und was für eine weitere und tiefere Verwirrung mochte er nicht noch bewirken? Diese Besorgnis war nicht ohne Einfluß gewesen, als es mich drängte, rasch Maßnahmen zu ergreifen.
    Als Nippers sich mit sehr saurer und mürrischer Miene entfernte, näherte sich sanftmütig und ehrerbietig Turkey.
    »Mit Verlaub, Sir«, sagte er, »gestern habe ich über Bartleby hier nachgedacht, und ich denke, wenn er nur lieber jeden Tag einen Liter gutes Ale trinken möchte, würde ihm das beträchtliche Besserung verschaffen und ihm ermöglichen, beim Durchsehen seiner Schriftstücke zu helfen.«
    »Sie haben sich den Ausdruck also auch bereits zugezogen«, sagte ich, leicht erregt.
    »Mit Verlaub, was für einen Ausdruck, Sir?« fragte Turkey und drängte sich ehrerbietig in den eng gewordenen Raum hinter dem Wandschirm, so daß ich gegen den Schreiber stieß. »Was für einen Ausdruck, Sir?«
    »Ich möchte hier lieber allein gelassen werden«, sagte Bartleby, als fühlte er sich beleidigt, daß man ihn in seiner Abgeschiedenheit belästigte.
    » Das ist der Ausdruck, Turkey«, sagte ich – » das ist er.«
    »Ah, möchte lieber ? ah ja – komischer Ausdruck. Ich selbst gebrauche ihn nie. Aber, Sir, wie ich gerade sagte, wenn er nur lieber –«
    »Turkey«, unterbrach ich ihn, »Sie ziehen sich jetzt bitte zurück!«
    »O gewiß, Sir, wenn Sie es lieber möchten.«
    Als er die Flügeltür öffnete, um sich zu entfernen, erblickte mich Nippers von seinem Pult aus und fragte, ob ich ein bestimmtes Schriftstück lieber auf blaues oder auf weißes Papier kopiert haben möchte. Er legte nicht die geringste boshafte Betonung auf den Ausdruck »möchte lieber«. Es war klar, daß er ihm unwillkürlich über die Lippen ging. Ich muß mich, dachte ich bei mir, unbedingt eines wahnsinnigen Menschen entledigen, der mir und Angestellten bereits in gewissem Grade die Zunge, wenn nicht gar den Kopf verdreht hat. Doch ich hielt es für ratsam, die Entlassung nicht sofort auszusprechen.
    Am folgenden Tage bemerkte ich, daß Bartleby nichts anderes tat, als daß er in seiner Mauerträumerei an seinem Fenster stand. Auf meine Frage, weshalb er nicht schreibe, sagte er, daß er beschlossen habe, nicht mehr zu schreiben.
    »Wie? was soll das heißen? das fehlte noch!« rief ich aus, »Sie wollen nicht mehr schreiben?«
    »Nein.«
    »Und aus was für einem Grund?«
    »Sehen Sie den Grund nicht selbst«, erwiderte er gleichgültig.
    Ich blickte ihn scharf an und bemerkte, daß seine Augen trüb und glasig aussahen. Sogleich kam mir in den Sinn, daß der beispiellose Fleiß, womit er in den ersten Wochen seines Aufenthalts bei mir an seinem dämmrigen Fenster kopiert hatte, seine Sehkraft vielleicht vorübergehend geschädigt habe.
    Ich war betroffen. Ich äußerte ein paar Worte der Anteilnahme. Ich wies ihn darauf hin, daß er gewiß klug daran tue, sich eine Zeitlang des Schreibens zu enthalten, und drängte ihn, diese Gelegenheit zu heilsamer Bewegung im Freien zu nutzen. Er tat es jedoch nicht. Als einige Tage darauf meine anderen Angestellten abwesend waren und ich in großer Eile ein paar Briefe mit der Post absenden mußte, dachte ich, daß Bartleby, der ja nicht das geringste zu tun hatte, sicher weniger starrsinnig als sonst sein und die Briefe zum Postamt bringen würde. Aber er schlug es rundweg ab. Daher ging ich selbst, so ungelegen es mir war.
    Weitere Tage vergingen. Ob Bartlebys Augen sich besserten oder nicht, konnte ich nicht sagen. Allem Anschein nach, so meinte ich, besserten sie sich. Doch als ich ihn danach fragte, würdigte er mich keiner Antwort. Jedenfalls wollte er nicht kopieren. Schließlich teilte er mir auf mein Drängen hin mit, daß er das Kopieren für immer aufgegeben habe.
    »Was!« rief ich aus, »angenommen, Ihre Augen würden sich

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