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Bartleby, der Schreiber

Bartleby, der Schreiber

Titel: Bartleby, der Schreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Melville
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ganz erholen – besser als je zuvor –, würden Sie auch dann nicht mehr kopieren?«
    »Ich habe das Kopieren aufgegeben«, antwortete er und glitt beiseite.
    Er blieb, was er immer gewesen war, ein Einrichtungsstück in meinem Zimmer. Nein, er wurde – falls das möglich gewesen wäre – noch mehr ein Einrichtungsstück als vorher. Was war da zu machen? Er wollte in der Kanzlei nichts tun – weshalb sollte er also bleiben? Ganzoffen gesagt, er war mir jetzt zu einem Mühlstein geworden, der nicht nur unbrauchbar als Halsschmuck, sondern auch eine quälende Last war. Trotzdem tat er mir leid. Ich untertreibe, wenn ich sage, daß er mir, seinetwegen, Unbehagen bereitete. Hätte er mir nur einen einzigen Verwandten oder Freund genannt, so hätte ich unverzüglich geschrieben und dringend darum gebeten, den armen Burschen abzuholen und an einen geeigneten Zufluchtsort zu bringen. Doch er schien allein, völlig allein im ganzen Weltall. Ein Wrackstück mitten auf dem Atlantik. Schließlich gewannen zwingende, mit meinem Beruf verknüpfte Erfordernisse die Oberhand über alle anderen Erwägungen. So schonend ich konnte, teilte ich Bartleby mit, daß er unter allen Umständen in sechs Tagen die Kanzlei verlassen müsse. Ich ermahnte ihn, in der Zwischenzeit Maßnahmen zu ergreifen, um sich eine andere Unterkunft zu beschaffen. Ich erbot mich, ihn bei seinen Bemühungen zu unterstützen, falls er nur selbst den ersten Schritt zum Umzug täte. »Und wenn Sie mich endgültig verlassen, Bartleby«, fügte ich hinzu, »dann werde ich dafür sorgen, daß Sie nicht ganz mittellos fortgehen. Von jetzt an in sechs Tagen, denken Sie daran!«
    Nach Ablauf dieser Frist blickte ich hinter den Wandschirm, und siehe! Bartleby war da.
    Ich knöpfte meinen Rock zu, gab mir Festigkeit; trat langsam auf ihn zu, berührte seine Schulter und sagte: »Es ist soweit; Sie müssen die Kanzlei verlassen; es tut mir leid um Sie; hier ist Geld; aber Sie müssen gehen.«
    »Ich möchte lieber nicht«, erwiderte er und hatte mir noch immer den Rücken zugekehrt.
    »Sie müssen. «
    Er blieb stumm.
    Nun setzte ich aber ein unbegrenztes Vertrauen in die natürliche Rechtschaffenheit dieses Mannes. Er hatte mir häufig Sechspence- und Schillingstücke zurückgegeben, die aus Unachtsamkeit auf den Fußboden gefallen waren, denn in solchen Hemdenknopf-Angelegenheiten neige ich sehr zu Sorglosigkeit. Das folgende Vorgehen wird man also nicht als ungewöhnlich erachten.
    »Bartleby«, sagte ich, »ich schulde Ihnen laut Abrechnung zwölf Dollar; hier sind zweiunddreißig; die restlichen zwanzig gehören Ihnen ebenfalls. – Nehmen Sie sie bitte!«, und ich reichte ihm die Scheine hin.
    Doch er rührte sich nicht.
    »Ich lasse sie also hier«, und ich legte sie unter einen Briefbeschwerer auf dem Tisch. Dann nahm ich meinen Hut und Stock und ging zur Tür, wandte mich ruhig um und fügte hinzu: »Wenn Sie Ihre Sachen aus den Kanzleiräumen entfernt haben, Bartleby, schließen Sie natürlich die Tür ab – da für heute außer Ihnen jetzt alle fort sind –, und, bitte, schieben Sie Ihren Schlüssel unter die Fußmatte, damit ich ihn am Morgen habe. Ich werde Sie nicht wiedersehen; also leben Sie wohl. Falls ich Ihnen später an Ihrem neuen Aufenthaltsort irgendwie von Nutzen sein kann, so versäumen Sie nicht, mir brieflich Nachricht zu geben. Leben Sie wohl, Bartleby, leben Sie wohl!«
    Doch er erwiderte kein Wort; er blieb, wie die letzte Säule eines zerstörten Tempels, stumm und einsam in der Mitte des sonst verlaßnen Raumes stehen.
    Als ich in nachdenklicher Stimmung nach Hause ging, gewann meine Eitelkeit die Oberhand über mein Mitleid. Ich konnte nicht umhin, mich groß zu brüsten mit dem meisterhaften Kunstgriff, den ich angewandt hatte, um mich Bartlebys zu entledigen. Meisterhaft nenne ich ihn, und so muß er auch jedem unparteiischen Betrachter erscheinen. Die Eleganz meines Vorgehens schien mir darin zu bestehen, daß es sich in vollkommener Ruhe abgespielt hatte. Es hatte kein vulgäres Einschüchtern gegeben, kein Prahlen irgendwelcher Art, kein wütendes Drohen und kein Auf- und Abrennen quer durch das Zimmer mit heftig hervorgestoßnen Befehlen an Bartleby, sich mit seinen lumpigen Habseligkeiten davonzuscheren. Nichts dergleichen. Anstatt Bartleby mit lauter Stimme zum Gehen aufzufordern – wie ein kleiner Geist vielleicht gehandelt hätte –, setzte ich den Grund , daß er zu gehen verpflichtet war, bei ihm voraus ; und auf dieser

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