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Bartleby, der Schreiber

Bartleby, der Schreiber

Titel: Bartleby, der Schreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Melville
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zurückgelassen haben. Er weigert sich, Schreibarbeit zu tun; er weigert sich, überhaupt etwas zu tun; er sagt, er möchte lieber nicht; und er weigert sich, die Räume zu verlassen.«
    »Ich bedaure sehr, Sir«, sagte ich mit gespielter Ruhe, aber innerem Zittern, »doch der Mann, auf den Sie anspielen, geht mich wahrlich nichts an – er ist kein Verwandter und kein Lehrling von mir, so daß Sie mich nicht für ihn verantwortlich machen können.«
    »Um Himmels willen, wer ist er?«
    »Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Mir ist nichts über ihn bekannt. Früher habe ich ihn als Kopisten beschäftigt, doch jetzt hat er seit einiger Zeit nichts mehr für mich getan.«
    »Dann werd’ ich ihn mir vom Halse schaffen – guten Morgen, Sir.«
    Mehrere Tage vergingen, und ich hörte nichts weiter; und obwohl ich oft eine barmherzige Regung spürte, in der Kanzlei vorzusprechen und den armen Bartleby zu besuchen, hielt mich doch eine gewisse Scheu, wovor, weiß ich nicht, davon ab.
    Inzwischen ist alles mit ihm erledigt, dachte ich schließlich, als mich im Verlaufe einer weiteren Woche keine neue Nachricht erreichte. Aber als ich am Tage darauf zu meinem Zimmer kam, traf ich auf mehrere Personen, die in großer Erregung vor meiner Tür warteten.
    »Das ist der Mann – da kommt er!« rief der am weitesten vorn Stehende, in welchem ich den Anwalt wiedererkannte, der mich vor kurzem allein aufgesucht hatte.
    »Sie müssen ihn wegschaffen, Sir, sofort!« rief ein beleibter Mann unter ihnen, der auf mich zukam und von dem ich wußte, daß er der Eigentümer des Hauses Nr. ... in der Wall-Street war. »Diese Herren hier, meine Mieter, können das nicht länger ertragen; Mr. B.«, und er wies auf den Anwalt, »hat ihn aus seinem Zimmer hinausgeworfen, und nun macht er fortwährend das ganze Gebäude unsicher, tags sitzt er auf dem Treppengeländer, und nachts schläft er in der Eingangshalle. Jeder ist darüber beunruhigt; Klienten der Kanzleien bleiben weg; es gibt Befürchtungen, daß es zu Ausschreitungen kommt; Sie müssen etwas unternehmen, und zwar unverzüglich!«
    Entgeistert von diesem Wortschwall, wich ich zurück und hätte mich am liebsten in meiner neuen Unterkunft eingeschlossen. Vergeblich beharrte ich darauf, daß Bartleby mich nichts angehe – mich ebensowenig wie irgend jemanden sonst. Vergeblich – ich war der letzte, von dem man wußte, daß er mit ihm zu tun gehabt hatte, und nun wurde mir diese schreckliche Verantwortung aufgeladen. Da ich befürchtete, in der Zeitung bloßgestellt zu werden (wie es einer der Anwesenden mit versteckten Drohungen andeutete), überlegte ich mir die Sache und sagte endlich, daß ich mich am Nachmittag, wenn der Anwalt mir in seinem eigenen Zimmer eine vertrauliche Unterredung mit dem Schreiber gewährte, nach besten Kräften bemühen würde, sie von der Plage, über die sie sich beklagten, zu befreien.
    Als ich zu meiner alten Behausung die Treppe hinaufstieg, saß dort Bartleby still auf der Geländersäule am Treppenabsatz.
    »Was tun Sie hier, Bartleby?« sagte ich.
    »Ich sitze auf der Geländersäule«, erwiderte er sanft.
    Ich nötigte ihn mit einer Handbewegung in das Zimmer des Anwalts, der uns dann allein ließ.
    »Bartleby«, sagte ich, »sind Sie sich bewußt, daß Sie mir viel Ärger bereiten, indem Sie nach der Entlassung aus der Kanzlei hartnäckig die Eingangshalle bewohnen?«
    Keine Antwort.
    »Eines von zweierlei muß jetzt geschehen. Entweder Sie unternehmen etwas, oder es wird etwas gegen Sie unternommen.Nun, was für eine Tätigkeit möchten Sie gern ausüben? Möchten Sie gern wieder als Kopist für jemanden arbeiten?«
    »Nein; ich möchte lieber keine Veränderung vornehmen.«
    »Möchten Sie gern eine Stellung als Verkäufer in einem Textilwarengeschäft?«
    »Damit ist zuviel Einengung verbunden. Nein, ich möchte keine Stellung als Verkäufer; aber ich bin nicht wählerisch.«
    »Zuviel Einengung«, rief ich, »Sie engen sich ja selbst dauernd ein!«
    »Ich möchte lieber keine Stellung als Verkäufer annehmen«, erwiderte er, als wollte er diesen kleinen Punkt sogleich klären.
    »Wie würde Ihnen die Tätigkeit als Schankkellner gefallen? Dabei würden Sie Ihre Augen nicht überanstrengen.«
    »Sie würde mir ganz und gar nicht gefallen; doch ich bin, wie bereits gesagt, nicht wählerisch.«
    Seine ungewöhnliche Gesprächigkeit machte mir Mut. Ich griff erneut an.
    »Also gut, möchten Sie gern über Land reisen und für die Kaufleute

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