Bartleby, der Schreiber
berichtete alles, was ich wußte, und schloß mit dem Vorschlag, ihm eine möglichst milde Haft zu gewähren, bis vielleicht etwas weniger Strenges getan werden könne – obschon ich in Wirklichkeit kaum wußte, was. Wenn man sich für nichts anderes zu entscheiden vermöge, müsse ihn auf alle Fälle das Armenhaus aufnehmen.Ich bat dann um die Erlaubnis für ein Zusammentreffen.
Da er unter keiner ehrenrührigen Anklage stand und in seinem ganzen Verhalten völlig ruhig und harmlos war, hatte man ihm gestattet, frei im Gefängnis, und besonders in dessen von Mauern umschloßnen, mit Rasenstücken versehenen Höfen, umherzugehen. Und dort fand ich ihn denn, wie er ganz allein im stillsten der Höfe stand, das Gesicht einer hohen Mauer zugekehrt, während ringsherum, so glaubte ich zu sehen, aus den schmalen Schlitzen der Gefängnisfenster die Augen von Mördern und Dieben auf ihn herabspähten.
»Bartleby!«
»Ich kenne Sie«, sagte er, ohne sich umzublicken – »und ich will nichts zu Ihnen sagen.«
»Ich war es nicht, der Sie hierhergebracht hat, Bartleby«, sagte ich, von dem in seinen Worten enthaltenen Verdacht schmerzlich getroffen. »Und Ihnen sollte dies hier kein so widerwärtiger Ort sein. Es haftet Ihnen nichts Schändliches dadurch an, daß Sie hier sind. Und verstehen Sie, es ist kein so trauriger Ort, wie man denken könnte. Sehen Sie, dort ist der Himmel, und hier wächst das Gras.«
»Ich weiß, wo ich bin«, erwiderte er; doch weiter wollte er nichts sagen, und daher verließ ich ihn.
Als ich wieder in den Korridor kam, trat ein breiter, fleischiger Mann, der eine Schürze trug, an mich heran und sagte, indem er den Daumen über die Schulter schnellte: »Ist das Ihr Freund?«
»Ja.«
»Will er verhungern? Wenn er’s will, dann lassen Sie ihn von der Gefängniskost leben, das genügt.«
»Wer sind Sie?« fragte ich, da ich nicht wußte, was ich von einem Menschen, der an einem solchen Ort so wenig amtlich redete, halten sollte.
»Ich bin der Essensmann. Herren, die hier Freunde haben, nehm’n mich in Dienst, damit ich sie mit was Gutem zu essen versorge.«
»Stimmt das?« sagte ich, zum Wärter gewandt.
Er sagte, daß es stimme.
»Also gut«, sagte ich und ließ in die Hand des Essensmannes (denn so wurde er genannt) einige Münzen gleiten. »Ich möchte, daß Sie sich um meinen Freund dort besonders kümmern; geben Sie ihm das beste Essen, das Sie besorgen können. Und Sie müssen ihn so höflich wie nur möglich behandeln.«
»Stellen Sie mich bitte vor!« sagte der Essensmann und sah mich mit einem Ausdruck an, der zu besagen schien, daß er voll ungeduldigen Verlangens nach einer Gelegenheit war, eine Probe seiner Erziehung abzulegen.
Da ich dachte, daß es sich für den Schreiber als vorteilhaft erweisen würde, willigte ich ein; ich fragte den Essensmann nach seinem Namen und ging mit ihm auf Bartleby zu.
»Bartleby, dies ist ein Freund; Sie werden sehen, er wird Ihnen sehr nützlich sein.«
»Ihr Diener, Sir, Ihr Diener«, sagte der Essensmannund machte hinter seiner Schürze eine tiefe Verbeugung. »Hoffe, es gefällt Ihnen hier, Sir; hübsche Anlagen – kühle Zimmer, Sir – hoffe, Sie bleiben eine Weile bei uns – werde versuchen, es Ihnen angenehm zu machen. Was wünschen Sie heute zu Mittag?«
»Ich möchte heute nicht zu Mittag essen«, sagte Bartleby und wandte sich ab. »Es würde mir schlecht bekommen; ich bin an Mittagessen nicht gewöhnt.« Damit ging er langsam zur anderen Seite des Hofes und stellte sich mit dem Gesicht zu der toten Mauer auf.
»Was bedeutet denn das?« wandte sich der Essensmann mit einem starren Blick des Erstaunens an mich. »Er is ’n bißchen komisch, was?«
»Ich glaube, er ist geistig etwas gestört«, sagte ich traurig.
»Geistig gestört, geistig gestört also? Na, so was, auf mein Wort, ich hab’ gedacht, Ihr Freund da wär ’n Urkundenfälscher; die sind immer so blaß und vornehm, die Fälscher. Ich kann’s nicht ändern, tun mir immer leid – kann ’s nicht ändern, Sir. Haben Sie Monroe Edwards gekannt?« fügte er ergreifend hinzu und hielt inne. Dann legte er mir mitleidig die Hand auf die Schulter und seufzte: »Er ist in Sing-Sing an der Schwindsucht gestorben. Monroe kannten Sie also nicht?«
»Nein, Fälscher haben nie zum Kreise meiner Bekannten gezählt. Doch ich kann mich nicht länger aufhalten. Kümmern Sie sich um meinen Freund dort drüben. Es wird Ihr Schade nicht sein. Ich komme bald wieder.«
Ein
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