Bartstoppelkuesse
Stefan?“
„Ich habe ihn rausgeworfen.“
Erst jetzt wurde mir klar, dass es kurz nach vier in der Nacht war und es um diese Uhrzeit in der Nähe des Kiezes nur so von Nutten wimmelte. Andererseits hatte Stefan mindestens den rosa karierten Gurt und es außerdem nicht anders verdient. Sollte er doch poppen, wen er wollte.
„Du spinnst echt, Scarlett!“
„Halts Maul, du blöde Kuh. Du hast mir all die Jahre lang vorenthalten, dass du damals seine Adresse in den Staaten hattest. Wie definierst du Freundschaft, Jana?“
Ich war echt sauer und setzte aus lauter Unmut mitten in der Nacht einen Kaffee auf, und das sollte schon was heißen. Zumindest war dieses Scheiß-Weihnachten fast vorbei. Jana zündete sich eine Zigarette an und ließ sich auf den Küchenstuhl fallen.
Durch das kaputte Fenster kam kühle Nachtluft herein und unten im Hof grölten die Kahlgeschorenen rum wegen des Vibrators.
„Mensch, Scarlett, komm setz’ dich. Stefan hat mich damals darum gebeten, dir nichts zu sagen.“
„Das hat er mir auch erzählt. Warum sagt er mir nichts, aber bei dir meldet er sich ordnungsgemäß nach Übersee ab, he?“
Janas Augen weiteten sich immer mehr und sie wurde langsam hellwach. Unschlüssig schaute sie sich um, so als kämpfe sie mit sich selbst. Ich setzte mich ihr gegenüber an den Küchentisch und zündete mir ebenfalls eine Zigarette an. Wie oft wir hier schon gemeinsam gesessen und geredet hatten, wusste ich nicht mehr. Meinen Kopf stützte ich nachdenklich in meine Hand und sah Jana einfach nur an. Sie fühlte sich unwohl in ihrer Haut, das war ihr deutlich anzumerken. Sie rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und rieb sich mit dem rechten Daumen die Innenfläche ihrer linken Hand.
Endlich schien sie meinem Blick nicht mehr standhalten zu können und den Kern des Problems anzugehen.
„Gott, ich wusste, dass mich diese Scheiße eines Tages einholen würde und ich dafür blechen muss“, seufzte sie tief auf. Jana tat mir fast leid.
„Ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll, Scarlett“, sagte sie mit gequälter Stimme.
„Fang schon an, was kann schon so schlimm sein, dass man nicht drüber reden kann?“
Es brach alles aus ihr heraus. Stefan hatte ihr damals anvertraut, dass er an Krebs erkrankt war und eigentlich nur deshalb nach Amerika gehen musste. Dort saßen die besten Spezialisten. In Deutschland hatte man ihn bereits aufgegeben. Und er war nicht in der Lage gewesen, mir die Wahrheit zu sagen, zumal er kurz vorher noch den Fehltritt mit der Professorin gehabt hatte. Nach sechs harten Jahren mit Operationen und Chemotherapie galt er als geheilt und als er seine Frau während der Therapie kennen lernte und seine kleine Tochter kam, schien sein Glück perfekt. Es zerbarst vor seinen Augen, als die Achtjährige vor ihrem Haus von einem Auto erfasst wurde und an den Folgen starb. Stefan war der festen Überzeugung gewesen, dass es vom Schicksal bestimmt war, weil er überleben durfte. Seine Ehe scheiterte wegen seiner ständigen Depressionen und er ging zurück nach Deutschland, weit weg von alldem, was sein Herz so schwer machte.
Jana und ich schlürften an unserem Kaffee. Das war viel Input in kurzer Zeit, mit dem ich erst einmal fertig werden musste. An manchen Tagen warst du der Hund, an anderen der Hydrant! Ich fühlte mich irgendwie angepisst und musste nachdenken.
„Warum hat er mich damals außen vor gelassen?“, sprach ich laut wie zu mir selbst.
Jana stand auf, lehnte sich an den Türrahmen und druckste herum. Sie konnte mir nicht in die Augen sehen. Ich stand auf, ging langsam auf sie zu und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie atmete schwer durch und versuchte krampfhaft ein Lächeln hervor zu bringen, dass irgendwie schmerzlich und dadurch schon fast wieder komisch wirkte.
„Er hat damals gesagt, dass er dich liebt und dir nicht zumuten will, dass dein ganzes Leben nur noch von seiner Krankheit bestimmt wird“, antwortete Jana.
„Die Entscheidung hätte ich gerne selber getroffen, Jana. Wenn du mir gesagt hättest, warum er gegangen ist und wohin, hätte ich handeln können.“
„Aber er wollte es doch nicht, Scarlett! Und ich war bei ihm im Wort. Wie sieht das denn aus, wenn ich einem damals Todgeweihten ein Versprechen gebe und das nicht einmal einhalten kann?“
Ich strich mir mit der flachen Hand durch das Gesicht und sah sie kopfschüttelnd an.
„Du willst doch wohl nicht behaupten, dass ich damit nicht fertig geworden
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