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Bastard

Bastard

Titel: Bastard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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meine schmutzige Wäsche mitnehmen würde.
    Ist es wieder so weit? Hat Briggs mir zum zweiten Mal auf diese Weise mitgespielt und wird mir bald den Stuhl vor die Tür setzen? Wohin wird er mich diesmal schicken? In den Vorruhestand? Offenbar kommt jetzt alles ans Licht. Die Situation spitzt sich auf ausgesprochen hässliche Weise zu und wird mir allem Anschein nach das Genick brechen. Eine andere Erklärung fällt mir nicht ein. Briggs hat mit jemandem darüber gesprochen, und dieser Jemand hat es Julia Gabriel weitererzählt, die mir dann wiederum Rassismus, Vorurteile, Herzlosigkeit und Verlogenheit vorgeworfen hat. Ich muss mir ständig vor Augen halten, dass dieser giftige Nebel derzeit all meine Entscheidungen beeinflussen wird. Er und die Erschöpfung. Sei auf der Hut. Benutze deinen Verstand. Lass dich nicht von deinen Gefühlen mitreißen. Kinderleicht , denke ich. Was hat Lucy noch einmal zum Thema Überwachungskameras gesagt? Ich greife zum Hörer und rufe Bryce an.
    »Ja, Boss«, meldet er sich so fröhlich, als hätten wir seit Tagen nicht mehr miteinander gesprochen.
    »Es geht um die Aufnahmen aus den Überwachungskameras im Haus«, beginne ich. »Wann war Captain Avallone aus Dover hier? Soweit ich informiert bin, hat Jack sie herumgeführt. «
    »Herrje, das ist schon ein Weilchen her. Ich glaube, im November …«
    »Wenn ich mich recht entsinne, ist sie in der Thanksgiving-Woche nach Maine zu ihrer Familie geflogen«, antworte ich ihm. »Ich weiß, dass sie in jener Woche nicht in Dover war, weil ich dort bleiben musste. Wir wären unterbesetzt.«

    »Müsste passen. Es könnte am Freitag gewesen sein.«
    »Waren Sie bei der Besichtigungstour dabei?«
    »Nein, ich war nämlich nicht eingeladen. Außerdem hat Jack ziemlich viel Zeit mit ihr in Ihrem Büro verbracht, nur damit Sie es wissen. Und zwar bei geschlossener Tür. Sie haben an Ihrem Tisch zu Mittag gegessen.«
    »Ich möchte, dass Sie jetzt Folgendes tun«, sage ich zu ihm. »Versuchen Sie, Lucy zu erreichen. Per SMS oder sonst irgendwie. Und teilen Sie ihr mit, dass ich jede Aufnahme aus den Überwachungskameras sehen will, die Jack und Sophia zeigt. Auch die aus meinem Büro.«
    »Aus Ihrem Büro?«
    »Wie lange hat er es schon benutzt?«
    »Tja …«
    »Bryce, wie lange?«
    »Mehr oder weniger die ganze Zeit über. Er hat sich dort breitgemacht, wenn er jemanden beeindrucken wollte. Das heißt, er hat nicht oft dort gearbeitet. Nur seine Audienzen abgehalten …«
    »Richten Sie Lucy aus, ich bräuchte die Aufnahmen aus meinem Büro. Sie wird wissen, was ich meine. Mich interessiert, worüber Jack und Captain Avallone gesprochen haben. «
    »Reizend. Ich erledige das sofort.«
    »Ich muss jetzt ein wichtiges Telefonat führen. Also stören Sie mich bitte nicht«, füge ich hinzu. Beim Auflegen fällt mir ein, dass Benton gleich hier sein wird.
    Aber ich widerstehe der Versuchung, mich zu beeilen. In einer solchen Lage ist es ratsam, die Ruhe zu bewahren und es Gedanken und Wahrnehmungen zu gestatten, sich zu ordnen. Du bist übernächtigt. Sei vorsichtig. Lass Vernunft walten, wenn du so müde bist. Es gibt nur eine Methode, es richtig anzugehen. Alle anderen sind falsch. Du wirst den richtigen Weg erst erkennen,
wenn er vor dir liegt, und falls du dann aufgebracht oder nicht geistesgegenwärtig bist, wirst du ihn übersehen. Ich greife nach meiner Kaffeetasse, überlege es mir jedoch anders. Kaffee wird mir jetzt nichts nutzen, sondern mich nur nervös machen und meinen Magen noch mehr in Aufruhr versetzen. Ich nehme das nächste Paar Untersuchungshandschuhe aus der Schachtel auf der Granittheke hinter meinem Schreibtisch und hole den Brief aus seinem Plastikbeutel.
    Dann ziehe ich die beiden gefalteten dicken Papierbogen aus dem Umschlag, den ich in Bentons Auto auf der Fahrt durch den Schneesturm geöffnet habe. Inzwischen scheint eine Lebenszeit vergangen zu sein, obwohl es in Wirklichkeit nicht einmal zwölf Stunden sind. Im Morgenlicht und angesichts der sich überstürzenden Ereignisse erscheint es mir plötzlich noch merkwürdiger als zuvor, dass eine Konzertpianistin, die Bryce als gebildet und sachlich geschildert hat, ihr teures, geprägtes Briefpapier mit Isolierband kombiniert. Warum benutzt sie nicht das übliche durchsichtige Klebeband anstelle des hässlichen, breiten bleigrauen Streifens quer über die Rückseite? Sie könnte es auch so wie ich machen, wenn ich einen privaten Brief in einen Umschlag stecke, und einfach

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