Bastard
sagen, dass die Geschworenen nicht viel auf Niesen als Verteidigungsstrategie geben dürften …«
»Ich muss telefonieren und mache dann meine Runde«, unterbreche ich ihn, bevor er sich für den Rest des Tages in Abschweifungen verzetteln kann. »Könnten Sie im Spurensicherungslabor anrufen und nachfragen, ob Evelyn da ist? Wenn ja, richten Sie ihr bitte aus, ich hätte da ein paar wirklich dringende Aufgaben für sie. Danach sind die Fingerabdrücke, die DNA und die toxikologische Untersuchung an der Reihe. Anschließend soll einer der fraglichen Gegenstände wieder nach oben in Lucys Labor. Vor einer Weile war
noch niemand dort. Was ist mit Shane? Kommt er heute? Ich brauche nämlich seine Meinung zu einem Dokument.«
»Herrje, Sie reden ja, als wären wir eine im Schneesturm in den Anden abgestürzte Rugbymannschaft, die sich in ihrer Not auf Kannibalismus verlegt.«
»Es war ein ziemlich schweres Unwetter heute Nacht.«
»Sie waren zu lange im Süden. Wie viel Neuschnee haben wir? Fünfundzwanzig Zentimeter? Ein bisschen kalt, aber nicht ungewöhnlich für unsere Breitengrade«, erwidert Bryce.
»Am besten bitten Sie Evelyn, sofort nach oben zu kommen, und lassen sie in Jacks Büro.« Ich beschließe, nicht länger zu warten, denn ich denke an den in einem Müllsack verstauten, zusammengefalteten Laborkittel.
Ich erkläre Bryce, was sich in der Tasche des Kittels befindet und dass ich es sofort mit dem Rasterelektronenmikroskop untersucht wissen möchte. Außerdem soll eine chemische Analyse durchgeführt werden, die das Beweisstück nicht beschädigt.
»Seien Sie äußerst vorsichtig, öffnen Sie den Beutel nicht und fassen Sie nichts an«, erkläre ich Bryce. »Und sagen Sie Evelyn, dass sich auf der Plastikfolie auch Fingerabdrücke befinden. Das heißt: DNA.«
Als mein Verwaltungschef außer Hörweite auf der anderen Seite unserer geschlossenen Verbindungstür sitzt, beschließe ich, den Anruf bei Erica Donahue so lange zu verschieben, bis ich Gelegenheit hatte, mir eine Strategie auszudenken. Ich muss mir alles gründlich überlegen.
Außerdem möchte ich ihren Brief noch einmal lesen, um mir über meine eigenen Absichten klarzuwerden. Während ich darüber nachgrüble, die Ereignisse seit meinem Aufbruch aus Dover Revue passieren lasse und den strahlend blauen Himmel eines neuen Tages betrachte, wird mir bewusst, dass
ich mich noch immer nicht von meinem Kontakt mit der letzten Mutter erholt habe. Ich fühle mich von der Erinnerung an das Telefonat mit Julia Gabriel, dass ich geführt habe, während sich jemand vor meiner geschlossenen Bürotür in Port Mortuary herumdrückte, wie vergiftet. Die Beschimpfungen, die sie mir entgegengeschleudert hat, und ihre Vorwürfe gingen unter die Gürtellinie und waren gehässig. Allerdings habe ich sie bis jetzt nicht so nah an mich herangelassen, dass ihre Worte Macht über mich gehabt hätten. Bis zu dem Fund in Fieldings Büro. Seitdem hat sich ein Schatten, so kühl und dunkel wie auf der der Sonne abgewandten Seite des Mondes, über mein Denken und meine Stimmung gelegt. Ich habe keine Ahnung, was über mich geredet oder entschieden wird. Und auch nicht, was man wieder zum Leben erweckt hat wie ein wechselwarmes Tier, das nur in Kältestarre lag und sich nun regt.
Welche Papiere sind zutage gefördert worden? Ist man vielleicht auf Dinge gestoßen, die ich all die Jahre insgeheim gefürchtet und dennoch vergessen habe? Obwohl die Wahrheit immer da war wie etwas Unschönes, das man im Schrank versteckt. Man denkt zwar nie daran, doch wenn man erinnert wird, weiß man, dass es noch da ist, denn es wurde weder weggeworfen noch dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben. Eigentlich war diese unangenehme Sache nie für mich bestimmt, doch man hat sie mir in die Hand gedrückt, als gehörte sie mir. Und damit galt die Angelegenheit als erledigt. Solange die Vorfälle in Südafrika in meinem Schrank verborgen blieben und nicht am vorgesehenen Platz landeten, könne mir nichts geschehen. Das war die Botschaft, die man mir vermittelte, als ich nach der Untersuchung der beiden Todesfälle ins Walter Reed zurückkehrte. Man dankte mir für meine dem Pathologischen Institut der Streitkräfte und der Air Force geleisteten Dienste und stellte es mir frei, früher als
geplant meinen Abschied zu nehmen. Schuld beglichen. Da gäbe es genau die richtige Stelle für mich in Virginia, wo ich blühen und gedeihen könnte, solange ich mich an die Abmachungen halten und
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