Bastard
sollen Sie nicht selbst fahren …«
»Haben Sie ihn gefragt, worum zum Teufel es geht?« Ich hole Haarbürste und Deo aus dem Spind.
»Ich habe es versucht, Ma’am«, entgegnet sie. »Aber er war nicht sehr gesprächig.«
Ein Großraumtransporter C-5 Galaxy im Landeanflug auf Bahn 19 dröhnt über meinen Kopf hinweg. Der Wind weht wie immer aus Süden.
Einer der vielen Grundsätze beim Fliegen, die ich von Lucy, die auch Helikopterpilotin ist, gelernt habe, lautet, dass die Nummern der Landebahnen gemäß ihrer Position auf dem Kompass vergeben werden. 19 steht zum Beispiel für 190 Grad, was bedeutet, dass 01 das entgegengesetzte Ende ist. Die Gründe für dieses System sind der Bernoulli-Effekt und Newtons Gesetze der Bewegung, also die Geschwindigkeit, mit der Luft über eine Tragfläche streichen muss, und das Starten und Landen mit dem Wind, der in diesem Teil Delawares vom Meer her kommt. Hochdruck- und Tiefdruckgebiete, von Süden nach Norden. Tagein, tagaus bringen die Flugzeuge Leichen und schaffen sie wieder fort, auf einem
schwarzgeteerten Band, das wie der Fluss Styx hinter Port Mortuary verläuft.
Die haifischgraue Galaxy ist so lang wie ein Football-Feld und so gewaltig und schwer, dass sie am blassblauen Himmel mit seinen Federwolken, die die Piloten Stutenschweife nennen, stillzustehen scheint. Ich würde den Flugzeugtyp auch ohne Hinschauen erkennen, und zwar an seinem schrillen Kreischen und Pfeifen. Inzwischen habe ich Erfahrung mit dem Geräusch von Triebwerken, die einhundertsechzigtausend Pfund Schubkraft erzeugen, und kann eine C-5 oder eine C-17 schon aus vielen Kilometern Entfernung identifizieren. Ich weiß auch einiges über Helikopter und Kipprotoren und bin in der Lage, einen Chinook von einem Black Hawk oder einem Osprey zu unterscheiden. Wenn ich bei schönem Wetter ein paar Minuten Zeit habe, setze ich mich auf eine Bank vor meiner Unterkunft und beobachte die Flugmaschinen von Dover, als wären es exotische Geschöpfe wie Manatis, Elefanten oder prähistorische Vögel. Ich kann von ihrer schwerfälligen Dramatik, ihrem Dröhnen und den Schatten, die sie im Vorüberfliegen werfen, nicht genug bekommen.
Räder berühren, begleitet von Rauchwolken, so dicht in meiner Nähe den Boden, dass ich die Vibration in meinem Inneren spüre, als ich die Anlieferungszone mit ihren vier gewaltigen Toren, der hohen Sichtschutzmauer und den Notstromgeneratoren durchquere. Dort parkt ein blauer Transporter, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Pete Marino macht keine Anstalten, sich zu rühren, mich zu begrüßen oder mir die Tür aufzuhalten, was alles oder nichts bedeuten kann. Er vergeudet seine Energie nicht mit Umgangsformen. Solange ich mich erinnern kann, stand Charme oder gar Freundlichkeit bei ihm nie oben auf der Liste. Unsere erste Begegnung in der Gerichtsmedizin von Richmond, Virginia,
liegt inzwischen über zwanzig Jahre zurück. Vielleicht habe ich ihn auch am Tatort eines Mordes kennengelernt. Ich weiß es nicht mehr genau.
Ich steige ein und klemme die Reisetasche zwischen die Füße. Mein Haar ist noch feucht vom Duschen. Offenbar findet er, dass ich zum Fürchten aussehe, und bildet sich schweigend ein Urteil. Das erkenne ich stets an seinen Seitenblicken, mit denen er mich von Kopf bis Fuß mustert und die an gewissen Stellen hängenbleiben, die ihn nichts angehen. Er mag es nicht, wenn ich meine AFME-Uniform, bestehend aus khakifarbener Cargohose, schwarzem Polohemd und Funktionsjacke, anhabe. Ich glaube, die wenigen Male, die er mich in dieser Aufmachung erlebt hat, haben ihn eingeschüchtert.
»Wo hast du das Auto geklaut?«, frage ich ihn, während er rückwärts aus der Parkposition rangiert.
»Eine Leihgabe von Civil Air.« Seine Antwort verrät mir wenigstens, dass Lucy nichts zugestoßen ist.
Der Privatterminal am nördlichen Ende der Startbahn wird von Zivilisten benutzt, die die Genehmigung haben, auf dem Luftwaffenstützpunkt zu landen. Also hat meine Nichte Marino hierhergeflogen, und ich überlege, ob sie mich damit haben überraschen wollen. Sie sind unangekündigt erschienen, um mir den morgigen Linienflug zu ersparen und mich endlich nach Hause zu bringen. Wunschdenken . Weil das nicht der Grund sein kann, suche ich in Marinos derbem Gesicht nach der Antwort und lasse sein Äußeres auf mich wirken wie bei der ersten Musterung eines Patienten. Turnschuhe, Jeans, eine mit Fleece gefütterte Harley-Davidson-Jacke, die er schon seit Ewigkeiten besitzt, eine
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