Bastard
ausrichten lassen, dass er am Apparat und dass es wichtig sei.
Ich öffne weit den Mund, um den Geschmack nach verwesendem und verbranntem Menschenfleisch loszuwerden, der
sich in meiner Kehle festgesetzt hat. Die Dampfwellen treiben mir den Gestank der Leiche, an der ich heute gearbeitet habe, bis tief in die Nebenhöhlen; Moleküle verfaulender Biomasse wirbeln um mich herum durch die Dusche. Ich schrubbe mir die Fingernägel mit antibakterieller Seife aus einer Flasche. Dasselbe Mittel benutze ich auch fürs Geschirr oder um an einem Tatort meine Stiefel zu desinfizieren. Dann putze ich Zähne, Zahnfleisch und Zunge mit Listerine-Mundspülung. Ich reinige mir die Nasenlöcher, so tief, wie ich hineinkomme, schrubbe jeden Zentimeter meiner Haut ab und wasche mir anschließend nicht nur einmal, sondern zweimal die Haare. Doch der Geruch ist immer noch da. Es gelingt mir einfach nicht, ihn loszuwerden.
Der tote Soldat, um den ich mich gerade gekümmert habe, hieß Peter Gabriel, wie der Rockstar, nur dass dieser Peter Gabriel Private First Class, also Gefreiter, in der Army und noch nicht einmal einen Monat in der nordwestafghanischen Provinz Badghis im Einsatz gewesen ist, als ein am Straßenrand deponierter Sprengsatz – zusammengebastelt aus einem Stück Abwasserrohr aus Plastik, vollgestopft mit C4-Plastikspreng-stoff und verschlossen mit einer Kupferplatte – die Panzerung seines Humvee durchdrang, so dass es im Fahrzeuginneren geschmolzene Metallteile hagelte. PFC Gabriel hat mich den Großteil meines letzten Tages hier in diesem riesigen, hochtechnisierten Institut in Anspruch genommen. Der AFME befasst sich häufig mit Fällen, bei denen die Öffentlichkeit nie an uns denken würde: dem Attentat auf John F. Kennedy, den jüngsten DNA-Analysen der Zaren-Familie Romanow und der Mannschaft der C.S.S. H. L. Hunley , des konföderierten U-Boots, das während des Bürgerkriegs gesunken ist. Wir sind eine elitäre, aber kaum bekannte Truppe, deren Anfänge bis ins Jahr 1862 und ins Army Medical Museum zurückreichen, dessen Chirurgen den tödlich verwundeten Abraham
Lincoln behandelt und später obduziert haben. Alles Dinge, die ich bei CNN erwähnen sollte. Ich muss das Positive hervorheben und vergessen, was Mrs. Gabriel mir an den Kopf geworfen hat. Ich bin weder ein Ungeheuer noch eine Heuchlerin. Man darf der armen Frau ihren Zorn nicht zum Vorwurf machen , halte ich mir vor Augen. Immerhin hat sie gerade ihr einziges Kind verloren. Die Gabriels sind Afroamerikaner. Wie würdest du dich an ihrer Stelle fühlen, verdammt? Natürlich bist du keine Rassistin.
Wieder spüre ich, dass jemand im Raum ist. Jemand hat den Umkleideraum betreten, den ich inzwischen mit Nebel gefüllt habe wie ein Dampfbad. Wegen der Hitze habe ich kräftiges Herzklopfen.
»Dr. Scarpetta?« Captain Avallone klingt nun nicht mehr so zögerlich, sondern eher, als hätte sie bedeutsame Nachrichten.
Ich stelle das Wasser ab, verlasse die Duschkabine und wickle mich in ein Handtuch. Captain Avallone ist ein undeutlich auszumachender Schemen, der im Dunst neben den Waschbecken und den mit Bewegungsmeldern ausgestatteten Händetrocknern verharrt. Ich erkenne nur ihr dunkles Haar, ihre khakifarbene Cargohose und das schwarze Polohemd mit dem aufgestickten gold-blauen Emblem.
»Pete Marino …«, setzt sie an.
»Ich rufe ihn sofort zurück.« Ich nehme mir ein zweites Handtuch vom Regal.
»Er ist hier, Ma’am.«
»Was soll das heißen, er ist hier ?« Fast rechne ich damit, dass er wie ein Geschöpf aus grauer Vorzeit im vom Dampf erfüllten Umkleideraum erscheint.
»Er erwartet Sie hinten in der Anlieferungszone, Ma’am«, teilt sie mir mit. »Er wird Sie nach Eagles Rest fahren, damit Sie Ihre Sachen holen können.« Sie sagt das, als würde
ich vom FBI abtransportiert, weil ich verhaftet oder gefeuert worden bin. »Ich habe Anweisung, Sie zu ihm zu bringen und Ihnen in jeglicher Hinsicht behilflich zu sein.«
Captain Avallone heißt mit Vornamen Sophia. Sie ist Angehörige der Army, hat gerade die Facharztausbildung zur Radiologin hinter sich und verhält sich stets militärisch korrekt und unterwürfig höflich, während sie sich um mich herumdrückt. Als ich meinen Kosmetikkoffer über den Fliesenboden trage, folgt sie mir auf den Fersen.
»Ich soll erst morgen abreisen, und mit Marino irgendwohin zu fahren war eigentlich nicht geplant«, erwidere ich.
»Ich kümmere mich um Ihr Auto, Ma’am. Soweit ich informiert bin,
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