Bastard
ist«, verkündet mein Mann, der Psychologe.
Ich möchte nicht erörtern, was meine Schuld ist und was nicht, weil ich nicht darüber reden kann, warum ich so unvernünftig bin, Jack Fielding weiter die Treue zu halten. Als ich aus Südafrika zurückkam, war Jack Fielding meine Buße. Er verkörperte die sozialen Arbeitsstunden, zu denen ich mich zur Strafe verurteilt hatte. Verzweifelt sehnte ich mich danach, ihm etwas Gutes zu tun, weil ich überzeugt war, allen anderen Schaden zugefügt zu haben.
»Ich schaue es mir an.« Damit meine ich den Inhalt von Bentons Jackentasche. »Ich kann einen Brief lesen, ohne Spuren zu zerstören, und ich muss wissen, was Mrs. Donahue mir geschrieben hat.«
Vorsichtig hole ich den Umschlag heraus und halte ihn an den Ecken fest. Ich stelle fest, dass die Lasche mit grauem Isolierband zugeklebt ist, das eine in altmodischer Fraktur eingeprägte Adresse zum Teil verdeckt. Die Straße liegt im Bostoner Stadtteil Beacon Hill unweit des Public Garden und ganz in der Nähe des Backsteinhauses, das Benton und ich früher besessen haben und das sich schon seit Generationen im Besitz seiner Familie befand. Vorn auf dem Kuvert steht in geschwungenen, mit Tinte geschriebenen Buchstaben Dr. Kay Scarpetta: Vertraulich . Ich achte darauf, nichts mit bloßen
Händen zu berühren, insbesondere nicht das Klebeband, das eine ausgezeichnete Quelle für Fingerabdrücke, DNA und mikroskopische Spuren ist. Auf porösen Flächen wie Papier kann man latente Fingerspuren durch Chemikalien wie Ninhydrin sichtbar machen. Ich überlege.
»Hast du ein Messer zur Hand?« Ich lege den Umschlag auf meinen Schoß. »Und ich muss mir deine Handschuhe ausleihen. «
Benton greift über mich hinweg und öffnet das Handschuhfach, in dem ein Leatherman-Multifunktionsmesser, eine Taschenlampe und ein Bündel Servietten liegen. Dann nimmt er ein Paar Hirschlederhandschuhe aus den Jackentaschen. Meine Hände versinken zwar darin, aber ich möchte weder meine Fingerabdrücke hinterlassen noch die einer anderen Person verwischen. Da die Sicht nach draußen so schlecht ist und immer mehr abnimmt, schalte ich die Lampe zum Lesen von Landkarten nicht an. Stattdessen leuchte ich mit der Taschenlampe und stecke eine kleine Klinge in eine Ecke des Kuverts.
Nachdem ich den Umschlag oben aufgeschlitzt habe, hole ich zwei gefaltete cremefarbene Briefpapierbogen heraus. Sie sind von hoher Qualität und mit einem Wasserzeichen versehen. Ich kann nicht genau erkennen, was es darstellt. Offenbar ein Emblem oder Familienwappen. Im Briefkopf steht dieselbe Adresse in Beacon Hill. Die beiden Seiten sind mit der Schreibmaschine in einer Kursivschrift getippt worden, wie ich sie schon seit Jahren, vielleicht seit einem Jahrzehnt, nicht mehr gesehen habe. Ich lese den Brief laut vor.
Dr. Scarpetta,
hoffentlich können Sie mir diese in Ihren Augen sicherlich unpassende und aufdringliche Geste meinerseits verzeihen.
Doch ich bin eine Mutter und so verzweifelt, wie eine Mutter es nur sein kann.
Mein Sohn Johnny hat ein Verbrechen gestanden, das er meines Wissens nach nicht begangen hat und auch nicht hat begehen können. Zugegeben, er hatte in jüngster Zeit Schwierigkeiten, weshalb wir für ihn ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mussten. Dennoch hat er nie ernsthafte Verhaltensstörungen gezeigt, nicht einmal, als er als schüchterner und schikanierter Fünfzehnjähriger das Studium in Harvard aufnahm. Falls er zu Nervenzusammenbrüchen neigen sollte, hätte es meiner Ansicht nach damals geschehen müssen. Schließlich war er das erste Mal von zu Hause fort und besaß nicht die üblichen gesellschaftlichen Fähigkeiten, um Kontakt mit seinen Mitmenschen zu knüpfen und Freunde zu finden. Bis zum vergangenen Herbstsemester seines letzten Studienjahres schlug er sich erstaunlich wacker, bis sich seine Persönlichkeit dramatisch veränderte. Aber er hat niemanden ermordet !
Dr. Benton Wesley, Berater beim FBI und Beschäftigter des McLean Hospital, weiß sehr viel über die Vergangenheit und die Entwicklungsschwierigkeiten meines Sohnes und hat vielleicht die Möglichkeit, diese Einzelheiten mit Ihnen zu erörtern, da er offenbar nicht dazu bereit war, mit Ihrem Assistenten Dr. Fielding darüber zu sprechen. Johnnys Geschichte ist lang und kompliziert, und ich hielte es für wichtig, dass Sie sie sich anhören. Ich möchte an dieser Stelle nur anmerken, dass er am vergangenen Montag ins McLean eingeliefert wurde, da man ihn als Gefahr
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