Bastard
Füllfederhalter,
die Kursivschrift. Vielleicht eine sehr strukturierte Person, die die Dinge auf eine ganz bestimmte und immer gleiche Weise angeht.«
»Sie ist Künstlerin«, erklärt Benton. »Eine klassische Pianistin, die die Technikbegeisterung ihrer restlichen Familie nicht teilt. Der Ehemann ist Atomphysiker. Der ältere Sohn arbeitet als Ingenieur in Langley. Und Johnny ist, wie sie betont, hochbegabt in Mathematik und Naturwissenschaften. Mit diesem Brief hat sie ihm keinen guten Dienst erwiesen. Ich wünschte, sie hätte ihn nicht geschrieben.«
»Du scheinst dich sehr für ihn zu interessieren.«
»Ich kann es nun einmal nicht leiden, wenn ein hilfloser Mensch zum Sündenbock gemacht wird. Dass jemand ein Sonderling ist, der sich nicht so verhält wie wir anderen, heißt noch lange nicht, dass er ein Verbrecher sein muss.«
»Der Staatsanwalt von Essex County würde sich bestimmt nicht freuen, das aus deinem Mund zu hören.« Ich bin davon ausgegangen, dass er Benton damit beauftragt hat, ein Gutachten über Johnny Donahue zu verfassen. Allerdings handelt Benton nicht wie ein Berater im Dienst der Staatsanwaltschaft. Weit gefehlt.
»Irreführende Aussagen, mangelnder Blickkontakt, falsche Geständnisse. Ein Junge mit Asperger-Syndrom und seine nie endende Einsamkeit und Suche nach Freundschaft«, fügt Benton hinzu. »Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich ein solcher Mensch besonders leicht beeinflussen lässt.«
»Warum sollte jemand Johnny überreden wollen, ein Gewaltverbrechen zu gestehen?«
»Dazu ist nur ein kleiner Verdachtsmoment nötig, zum Beispiel, dass jemand wirres Zeug redet und eine Fahrt nach Salem und den dort ermordeten kleinen Jungen erwähnt. Sind Sie sicher, dass Sie die Hand in eine Schublade gesteckt und sich dabei an einem Steakmesser geschnitten haben? Oder
ist es vielleicht anders gewesen, und Sie erinnern sich nicht mehr? Jemand hält Johnny für schuldig, und so denkt er es schließlich selbst. Er neigt dazu, das zu sagen, was die Leute seiner Ansicht nach hören und glauben wollen. Die Folgen seines Verhaltens sind ihm nicht bewusst. Menschen mit Asperger-Syndrom, insbesondere Jugendliche, sind unter den Personen, die unschuldig wegen eines Verbrechens verhaftet und verurteilt werden, statistisch überrepräsentiert.«
Die Schneeflocken werden plötzlich größer und wehen wie weiße Hartriegelblätter wild im heftigen Wind. Benton schaltet das Tiptronic-Getriebe herunter und tritt leicht auf die Bremse.
»Vielleicht sollten wir rechts ranfahren.« Ich kann die Straße nicht mehr sehen, weil sich der Lichtkegel der Scheinwerfer in dem weißen Wirbel rings um uns verliert.
»Eine eigenartige Sturmzelle, wie ein Mini-Unwetter.« Er beugt sich über das Steuer und starrt geradeaus, während wir von kräftigen Windböen gebeutelt werden. »Ich finde es das Beste, weiterzufahren, um hier rauszukommen.«
»Sollten wir nicht lieber anhalten?«
»Wir sind auf der Straße. Ich kann erkennen, auf welcher Fahrspur wir uns befinden. Niemand kommt uns entgegen. « Er schaut in die Spiegel. »Und hinter uns ist auch niemand. «
»Hoffentlich irrst du dich nicht.« Ich meine nicht nur den Schnee. Alles wirkt unheilverkündend, so als wären wir von bedrohlichen Mächten umzingelt. Wie eine Warnung.
»Es war kein sehr kluger Schritt von ihr. Sie hat rein emotional gehandelt und es vielleicht sogar gut gemeint, aber es war trotzdem ein Fehler.« Im Schneckentempo fährt Benton durch das weiße Chaos. »Es ist nur Hörensagen und wird niemanden weiterbringen. Am besten rufst du sie nicht an.«
»Ich muss den Brief der Polizei zeigen«, entgegne ich.
»Oder zumindest davon erzählen, damit sie entscheiden können, was sie damit tun wollen.«
»Sie hat die Sache bloß verschlimmert.« Er klingt, als wäre er derjenige, der die Entscheidungen trifft. »Lass dich nicht hineinziehen, indem du sie anrufst.«
»Womit hat sie die Sache denn verschlimmert, wenn man davon absieht, dass sie versucht hat, das Rechtsmedizinische Institut zu beeinflussen?«, frage ich.
»Weil sie einige unrichtige Behauptungen aufstellt. Johnny liest keine Bücher, in denen es um Horror, das Übernatürliche oder Gewalt geht, und er sieht sich auch keine einschlägigen Filme an. Zumindest nicht, soweit ich im Bilde bin. Außerdem wird ihm diese Information nur schaden. Hinzu kommt, dass Mark Bishop nicht am frühen Nachmittag ermordet wurde. Es war gegen vier. Womöglich ahnt Mrs. Donahue gar nicht, in
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