BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
noch haben. Jetzt, wo alles zu spät ist. Manche Dinge sollten für immer ihr Geheimnis wahren.
Nur mühsam bewege ich mich in Gedanken weg von jenen letzten unheilvollen Geschehnissen. Zurück. Immer weiter zurück. Bis hin zu dem Moment, an dem ich Natascha das erste Mal begegnete. Das innere Auge liefert nur verschwommene Eindrücke. War es ein flüchtiger Blick in einer überfüllten Straßenbahn oder stießen wir auf dem Markt zusammen? Ich kann mich einfach nicht mehr entsinnen. Etwas in mir will mich leiden sehen, ohne Hoffnung auf Gnade. Es versagt mir nahezu jeden Gedanken, der mir ein wenig Trost spenden könnte. Während mein Blick im ersten hellen Grau am Horizont herumirrt, kommt dieses böse Gespenst der Vergangenheit langsam aus seinem Versteck. Mein Schmerz ist ihm nicht genug; es dürstet nach mehr. Ich spüre, wie sich meine Kehle zusammenschnürt, wie meine Knochen und Gedärme unter dem Druck aufschreien. Es ist in mir, über mir.
Mein röchelnder Atem geht immer stoßhafter, das Bild der schlummernden Stadt verschwimmt zusehends, mein Körper beginnt zu schwanken.
Über die Brüstung des Fensters hinweg. Das ist es also, was es beabsichtigt: Meinen eigenen Tod als einzig annehmbare Sühne. Ein Zittern durchläuft mich. Ist meine Schuld wirklich so groß; hätte Natascha dies gewollt? Mit aller Kraft stemmen sich meine schweißfeuchten Hände gegen die Fensterbank. Ich beginne zu kämpfen …
Langsam lichtet sich der Nebel, der meine Erinnerungen umfangen hielt. Ich erkenne zunehmend einen mir vertrauten Ort; zahllose Wege durchschneiden gepflegte Grünflächen. Hohe, teilweise mit exotischen Palmen durchsetzte Vegetation filtert grünes Licht. Zäune. Gitter. Hinter den Gittern Bewegung. Tiere. Der Platz, den ich vor meinem geistigen Auge sehe, befindet sich im Sherman-Zoo. Natürlich. Wie hatte ich dies nur je vergessen können. Der Zoo, jener schicksalhafte Ort, an dem alles begann, und … Nein! Ich will an den Anfang denken, nicht an das Ende.
Es war im Spätsommer letzten Jahres, als mir Schuster & Wolfton den Auftrag für eine Fotoserie gaben. Ein Eilauftrag, wie so oft. Wie man mir mitteilte, hatte sich der Entwurf der neuen Kollektion unplanmäßig verzögert, weswegen erst jetzt der aktuelle Modekatalog ›Winter/Frühjahr '88/'89‹ in Angriff genommen werden konnte. Ganze drei Tage wurden mir zugestanden. Als seriösen Fotografen, als den ich mich nun einmal verstand, hätte ich den Leuten den Auftrag vor die Füße werfen müssen. Unter einem derartigen Zeitdruck konnte einfach keine gute Arbeit gelingen. Aber wie so oft im Leben sind Kompromisse einfach unumgehbar, selbst wenn sie den eigenen Grundprinzipien zuwider laufen.
Da ich zu dieser Zeit mit entsprechenden Kunden nicht gerade gesegnet war, nahm ich an. Die künstlerischen Arbeiten, die ich privat nebenher machte, hatten zwar bereits gute Kritiken eingeheimst, der erhoffte Geldsegen war aber ausgeblieben.
Wie ich wenig später feststellen sollte, hatte ich meinen Entschluss nicht zu bereuen, Schuster & Wolfton waren dafür jedoch nicht verantwortlich. Aber der Reihe nach …
Ich rief Molly an und ließ mir von ihr etwa zwanzig Modelle in mein Atelier schicken. Molly führt eine kleine aber feine Modell-Agentur. Sie kennt mich schon seit meiner ersten Ausstellung ›Private Faces‹ vor über zehn Jahren, und ohne ihre teilweise oft kostenlose Vermittlung wäre meine Karriere sicher weniger glatt verlaufen. Mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team; Molly kennt meinen Stil sowie meine Vorlieben bezüglich der Modelle. Ich brauche ihr oft nur das Thema einer Serie zu nennen, schon bekomme ich die gewünschten Körper und Gesichter. So war es auch diesmal. Bereits mit Nummer 10 war meine Mode Crew – bestehend aus sechs Mädchen – komplett.
Die Kollektion, die es zu präsentieren galt, setzte sich ausnahmslos aus teuren Pelzen und Pelz-Accessoires zusammen. Keine Tierart, deren Haut selten und gefragt war, schien zu fehlen. Gefleckter Ozelot wechselte sich mit sibirischem Silberfuchs ab; Wolf, Jaguar, Tiger und Leopard waren ebenso vertreten wie Zebra, Otter oder Bisam. Zwei modern geschnittene Zobelmäntel bildeten den krönenden Abschluss.
Alles lief glatt; ich arbeitete konzentriert und die Mädchen agierten nach meinen Wünschen. Wir kamen so gut voran, dass mir noch Zeit für Versuche mit Schatten, farbigen Filtern und Gegenlichtaufnahmen blieb. Ich war gerade dabei, die Aufnahmen zu entwickeln, als mich
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