BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
verborgen, geheimnisvoll. Man wähnte sich, in finsterste Abgründe hinabzublicken.
Gerade dieses Wechselspiel war es wohl, was sie so heraushob, sie derart von allen sie umgebenden Menschen unterschied. Ein gleißender Heiligenschein hätte nicht auffälliger sein können.
Hypnotisiert machte ich kehrt und taumelte fast gegen meinen Willen auf die Reihen der Zuschauer zu. Ich sah nur noch diese Augen, diese Zwillingssterne, die trotz des verhangenen Himmels hell leuchteten. Je näher ich kam, desto deutlicher wurde meine Vision. Noch bevor ich ein Wort mit ihr gewechselt hatte, war ich ihrer Aura verfallen. Wie ein Netz schlangen sich ihre Blicke, die den meinen in beunruhigender Weise standhielten, um mich. Sie entzückten mich, erregten und verwirrten mich. Sie beunruhigten mich aber auch und gaben mir Rätsel auf. Rätsel über Rätsel.
Wer war diese außergewöhnliche Frau, was tat sie hier, warum starrte sie mich so eindringlich an? Nie zuvor bedrängten mich so viele Fragen an einen mir fremden Menschen. Ich wollte – nein, ich musste – sie einfach kennenlernen. Sie war eine fleischgewordene Sphinx, deren Geheimnis ich unbedingt ergründen musste.
Ein bitteres Lächeln umspielt meine Lippen. Damals konnte ich nicht ahnen, wie teuflisch dieser Vergleich war. Erst heute schleicht sich diese Erkenntnis in meine Erinnerung. Erst jetzt, wo schwere, feuchte Erde auf Nataschas zartem Körper lastet, sehe ich klar. Was für ein elender Narr ich doch gewesen bin!
Starr blicke ich über die grauen Schemen der Stadt. Noch immer ist kein Leben in ihr zu entdecken. Nur der Nachtwind spielt eine leise, einsame Melodie. Ich spüre, wie mich die Erinnerung immer mehr aufwühlt, wie sie meine Glieder zum Zittern bringt. Die Fensterbank ist der einzige Halt, der mir noch geblieben ist. Schwitzend vor Anstrengung versuche ich mich auf den Beinen zu halten. Ich will diese tote, trostlose Stadt nicht sehen, die ihre Fänge ausstreckt, ihre noch freien Gräber mit Fleisch zu füllen. Wonach ich mich sehne, ist Licht und Leben – und vor allem ein Gesicht. Ihr Gesicht.
Ein Schleier legt sich gnädig über meine Augen; Tränen sammeln sich in ihnen und rinnen über meine Wangen. Aus meiner verzerrten Optik erwächst langsam wieder das Bild einer entflohenen Zeit.
Einer ferngesteuerten Maschine nicht unähnlich, bahnte ich mir meinen Weg. Mit meinen weit aufgerissenen Augen und einem vor Erstaunen sicher recht dummen Gesichtsausdruck, muss ich eine völlig lächerliche Figur abgegeben haben. Aber Gedanken dieser Art kamen mir erst gar nicht in den Sinn. Ich dachte eigentlich an überhaupt nichts. Nur der unerklärliche Sog, der von der Unbekannten ausging, trieb mich vorwärts. Mit sportlichem Elan überstieg ich das rote Flatterband, das als provisorische Absperrung diente.
Die junge Dame zeigte sich auch jetzt, da ich in ihrer unmittelbaren Nähe war, sichtlich unbeeindruckt. In ihrem Blick paarte sich Kühle mit Herausforderung. In meinem Zustand hätten mich selbst eine Schar Nonnen nicht von meinem Plan abbringen können. Als Mann, der ich es gewohnt war, mit attraktiven Frauen umzugehen, sah ich kein Problem, sie anzusprechen.
»Hallo«, war aber alles, was ich krächzend über meine Lippen brachte. Sie schaute mich nur gelangweilt an; ihr Blick ging förmlich durch mich hindurch. So, als ob sie meine Stimme nicht bemerkt hätte. Mehr hilflos als mutig setzte ich nach. »Mein Name ist Thomas Trait. Wenn Sie einverstanden sind, würde ich mich gerne einmal mit Ihnen unterhalten. Haben Sie nachher noch etwas Zeit? In einer knappen Stunde bin ich hier fertig. Ich habe vielleicht ein interessantes Angebot für Sie.«
Erneut blieb sie stumm; nur ihre Augen bewegten sich unmerklich. Schwarze Höhlen starrten mich an, bar jeder glitzernden Helligkeit, die ich noch vor wenigen Augenblicken dort zu sehen geglaubt hatte. Sollte ich mich etwa dermaßen getäuscht haben? Dies war nicht das Gesicht mit den strahlenden Sternen. Dies hier war dunkel, vielleicht sogar böse. Lange hielt ich diesem unheimlichen Blick nicht stand. Fast ehrfurchtsvoll senkte ich daher meinen Kopf vor ihr.
»In einer Stunde also«, flüsterte ich dem Boden vor ihren Füßen zu. »Bitte warten Sie auf mich. Ich würde mich freuen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten und ohne ihrem Blick ein zweites Mal zu begegnen, drehte ich mich um. Ich hatte es verpatzt. Verärgert über meinen jämmerlichen Auftritt stapfte ich zurück zur Bühne. Ich verstand die
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