BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
selbst bei geöffneten Fenstern kaum mehr atmen konnte. Manchmal, wenn ich Natascha nebenan wie tot schlafend wusste, überkam mich ein fürchterliches Gefühl von Einsamkeit. Nur wenige Zimmer weiter schlief ein Mensch, den ich über alle Maße liebte, der sich aber zunehmend von mir entfernte. Ich konnte mich unmöglich mehr auf meine Arbeit konzentrieren; viele interessante Angebote schlug ich aus. Mir war, als habe ich etwas Wertvolles verloren. Etwas Unersetzliches.
Natascha tat, als sei alles in allerbester Ordnung. Wenn sie aus ihrem Winterschlaf erwacht war, gab es keine Anzeichen mehr von Niedergeschlagenheit oder Apathie. Wie ein fröhlicher Wirbelwind fegte sie durch die Räume, stets einen kessen Spruch auf den Lippen. Aber ich lächelte meist nur gequält über ihre Anzüglichkeiten. Auch wenn wir uns nun liebten, gelang es mir nie, mich völlig gehen zu lassen. Ich konnte einfach nicht abschalten und sorglos zur Tagesordnung übergehen.
Obwohl mir hunderte Fragen wie spitze Bambusspäne unter den Nägeln brannten, blieb ich stumm. Abwartend – aber nicht ohne ein inneres Zittern – genoss ich die Luft, die für kurze Zeit wieder atembar geworden war. Jedoch nur für sehr kurze Zeit.
Das Beunruhigendste an der Sache war für mich etwas anderes; während Natascha sonst von Freunden und Bekannten sprach, mit denen sie die Zeit verbracht haben wollte, erwähnte sie ihre sichtbar aufwühlenderen Nächte mit keinem Wort. Jedes Mal, wenn ich mich – Versprechen hin oder her – dazu durchgerungen hatte, ihr das Geheimnis zu entlocken, schien sie schon vorher meine Gedanken lesen zu können. Ein einziger, kurzer Blick von ihr reichte aus, mir jeden Mut zu nehmen, Frag' mich nicht!, drohten ihre Augen. Wenn Du mich liebst, wage es nicht, mich zu fragen!
Die Stille, die sich über unser Leben stülpte, strahlte weder Geborgenheit noch Vertrauen aus. Sie war das kaum spürbare Zittern, das kaum hörbare Grollen vor dem Ausbruch eines Vulkans. Es scherte mich mittlerweile einen Dreck, was ich Natascha einmal feierlich geschworen hatte. Ich konnte einfach so nicht weiterleben. Ich musste erfahren, was mit ihr nicht stimmte, selbst auf die Gefahr hin, dass sie mich verließ.
Erfolgversprechend erschien mir nur eine Methode: Ich musste Natascha beschatten – und das so unauffällig wie möglich. Wenn sie mich entdeckte, war alles aus. Ich versorgte mich also erst einmal mit unscheinbaren Klamotten aus einem Second-Hand-Shop in der Südstadt, bevor ich meine Detektivarbeit aufnahm. Als ich ihr in diesem Aufzug das erste Mal hinterher schlich, quälten mich Scham und Selbstzweifel. Was ich da tat, war der blanke Verrat. Ich betrog Natascha um das gottgegebene Recht, frei und ungezwungen ihres Weges gehen zu dürfen. Manchmal, so redete ich mir ein, mussten kleinere Gesetze übertreten werden, damit Schlimmeres verhindert wurde. Eine billige Ausrede. Geschah tatsächlich alles nur zum Wohle Nataschas oder übersah ich geflissentlich die große Portion Egoismus, die mich zu dieser Verrücktheit trieb? Ich wollte die Antwort nicht wissen.
Die ersten Observierungen verliefen erfolglos; Natascha kaufte nur eine Kleinigkeit ein, verschwand kurz in der Bibliothek oder trank einen Kaffee in einem Straßenrestaurant. Kein einziges Mal sah ich sie mit jemandem zusammen. Mein langweiliger Job hatte jedoch auch sein Gutes, konnte ich in dieser ruhigen Phase doch ausgiebig mein Verhalten trainieren. Nach und nach gelang es mir immer leichter, mich locker und unauffällig zu bewegen.
Dann, an einem Mittwoch, war der Tag X gekommen. Ich hatte schon über fünf Stunden in einer Kneipe nahe der Uni ausgeharrt, den Blick unverwandt auf den Haupteingang gerichtet, und fragte mich gerade bei meinem neunten oder zehnten Kaffee, ob Natascha vielleicht doch ihre Nachtaktivitäten aufgegeben hatte, als ich sie die große Freitreppe herunterkommen sah. Hastig faltete ich meine Zeitung und kramte nach Geld. Ich schob drei Scheine unter den Aschenbecher und sprintete los.
Eigentlich kannte ich ihren Weg genau. Während ich ihr auf der anderen Straßenseite folgte, blickte ich auf meine Uhr. Gleich würde sie rechts abbiegen und bis zur Haltestelle an der Rose Ecke Madison gehen; wenn sie sich beeilte, konnte sie noch den 18.14er bekommen.
Natascha überquerte die Rose, ohne einmal nach rechts zu schauen. Ich war verblüfft, doch noch zeigte meine innere Warnampel grünes Licht. Sie konnte immer noch nur einen kleinen Umweg für eine
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