BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
sehen. Das Schreien um mich herum wurde immer lauter. Ein kleines, weißes Höschen hing halb über dem Rahmen der Besucherabsperrung. Ich nahm den seidigen Stoff an mich und drückte ihn fest an mein Gesicht. Wie ein Bluthund schnüffelte ich daran. Nataschas Duft war auch inmitten der Ausdünstungen dieses Dschungels unverkennbar. Sie war es tatsächlich. Vielleicht war es diese Erkenntnis, die mich weinen ließ. Dann stand ich plötzlich vor dem Käfig des Ligers.
Die Katze war nicht allein. Zitternd wischte ich mir die Tränen aus den Augen.
Wie eine Klette hing etwas Dunkles, Schwarzes unter dem Bauch des Tieres. Die mächtige Katze brüllte und knurrte und warf sich von einer Seite auf die andere. Das andere Wesen ließ sich jedoch nicht abschütteln und stieß ähnliche, aber höhere Laute aus. Wild schleuderte seine schwarze Mähne durch die Luft. Aber es war keine Mähne …
… es waren Haare.
Das Wesen dort war ein Mensch oder besaß zumindest menschliche Formen. Ich hatte keine Stimme, um ihren Namen zu schreien. Unfähig, auch nur einen Muskel zu bewegen, stand ich bloß da, wie ein Zuschauer, der in einer Live-Satelliten-Übertragung machtlos die Ermordung des Präsidenten mit ansehen musste. Ich war tausende von Meilen entfernt.
Das dort konnte nicht Natascha sein! Ich starrte in ihre Augen. Es war ihr Gesicht und doch erkannte ich es nicht. Es war, als habe sich ein wildes Tier unter die fleischliche Hülle meiner Geliebten gewühlt. Die weit aufgerissenen Augen glühten so hell – weißlich-gelb – wie ich es noch nie gesehen hatte. Ihre aufgeblähten Nasenflügel zitterten, als seien es die Nüstern eines tobenden Pferdes. Zwei kleine, gelbe Rinnsale liefen über ihren Mund; zwischen ihren verzerrten Lippen vermischten sich Schleim und Speichel zu einem schäumenden Strom. In langen Fäden floss er ihr über Kinn und Hals.
Nataschas brauner, nass glänzender Körper presste sich so fest wie möglich gegen das Fell der Katze. Ungläubig sah ich, wie sich ihre zu Krallen verzogenen Hände tief in den Rücken des Raubtiers gruben. Der Liger rollte sich auf die Seite und umklammerte nun seinerseits ihren Körper: unter seinen gewaltigen Pranken drohte er ihn förmlich zu zermalmen. Nataschas Schreie reichten von tiefem Grunzen bis hinauf zu hohem, spitzem Kreischen.
Auch die Katze hatte Schaum vor dem Maul. Als das Tier einmal halb auf den Rücken gerollt war, zog sich das Wesen mit dem Aussehen Nataschas an den riesigen Kopf heran und begann, den Speichel von seiner Schnauze zu lecken. Der Liger erwiderte die Geste; langsam glitt seine breite, rosige Zunge über ihren Hals, ihre Schultern, ihre Brüste, ihr Gesicht.
Selbst in diesem Moment war es mir unmöglich, Ekel, Angst oder Hass zu empfinden; ich war wohl der festen Überzeugung, dies hier könne nicht die Wirklichkeit sein. Alles war nur ein Märchen (Cinderella), ein Traum.
Ein Traum? Endlich, nach wahnsinnigen Minuten, fand ich meine Stimme wieder … und tötete Natascha.
Ich schrie und schrie und schrie. Bald war nur noch meine Stimme in der Halle. Schrill übertönte sie jeden anderen Laut: »NATAAAAAAASCHAAAAAAAA!!!!!«
Die wilden Bewegungen des ungleichen Paares wurden zunehmend stockender, abgehackter. Dann hörten sie plötzlich ganz auf. Für eine Weile lagen beide schwer keuchend nebeneinander; schließlich löste sich die Frau aus der Umarmung der Bestie und kam zitternd auf allen Vieren zum Gitter gekrochen. Immer noch schrie ich verzweifelt ihren Namen. Ich schrie, obwohl – oder gerade – weil ich in diesem Gesicht wieder die richtige Natascha erkannte. Machte sie auch äußerlich den Eindruck einer Wilden, so spürte ich doch in ihrem Inneren wieder den Menschen. Das Tier war aus ihren Augen verschwunden.
Völlig verwirrt und entsetzt starrte sie mich an. »Thomas, oh, nein«, flüsterte sie. »Was hast Du nur getan!«
Ich erwachte aus meiner Erstarrung und sprang über die hüfthohe Absperrung auf sie zu. Durch das Gitter hindurch streichelte ich ihre Wange.
»Komm' da raus! Schnell!«, brüllte ich unter Tränen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich nach dem Eingang des Käfigs suchen musste.
In Nataschas Augen las ich blankes Entsetzen. »Thomas!«, schrie nun auch sie. Ihr Ruf wirkte wie ein Signal für die große Katze. Auch sie hatte die Wandlung gespürt. Plötzlich war ein Feind, eine Beute, in ihr Reich eingedrungen.
Mit einem gewaltigen Sprung warf sie sich auf Natascha. Krallen wühlten sich tief in
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