Bateman, Colin
ihnen soeben
klargeworden, dass man sie mit einer Gratis-Käseprobe in eine dreistündige
Verkaufsveranstaltung gelockt hatte. Andere, die mich bereits kannten, warteten
darauf, dass ich zum Punkt kam. Die Radeks ließen mich keine Sekunde aus den
Augen.
»Wir sind in diesem Geschäft
allein aus Liebe zum Gegenstand«, erklärte ich. »Wir tun diese Arbeit, weil
wir sie für wichtig halten. Und hier tun wir sie, weil wir ein Herz für den Underdog haben,
den Außenseiter der Literatur, den wir gewöhnlich Kriminalroman nennen. Ich
pflege häufig zu sagen, gebt mir einen jungen Mann, der nicht von der Kritik
korrumpiert ist, und ich mache aus ihm einen Krimi-Fan fürs Leben.«
Alison räusperte sich. Füße
scharrten. Detective Robinson wippte auf den Zehenballen.
Ich ließ mich nicht beirren.
Das war meine Show.
»Ich habe mein Leben dem
Studium der Kriminalliteratur verschrieben. Ich habe alle großen Werke
gelesen, auch die meisten mittelmäßigen, obendrein viele unbedeutende und auch
jede Menge totalen Schrott. Es gibt nichts, was das Lösen fiktiver Fälle
betrifft, das ich nicht weiß, und was sind fiktive Fälle anderes als reale
Fälle, die Hüte tragen? Als ich daher vor wenigen Monaten gebeten wurde, bei
der Aufklärung eines realen Verbrechens zu helfen, schien es mir geradezu
selbstverständlich, mein durch Lesen erworbenes Wissen über die Auflösung von
Kriminalfällen sowie meine Lebenserfahrung als Buchhändler zu bündeln, um die
Ermittlungen in diesem teuflisch vertrackten Fall zu einem erfolgreichen Ende
zu führen. Seit diesem ersten Triumph habe ich in vielen weiteren Fällen
ermittelt, die selbst die Polizei vor unüberwindliche Rätsel stellten. Und es
ist bisher kein einziger darunter, den ich nicht gelöst habe. Aber mein bis
dato schwierigster Fall, der gefährlichste und ohne Zweifel auch der
grauenvollste, kam erst vor wenigen Tagen durch just diese Tür hereinspaziert.
Und er wurde mir angetragen von dem Mann, dem - neben unserer geschätzten
greisen Autorin natürlich - unser heutiger Abend Tribut zollt: Daniel Trevor.«
Ich drückte die winzige
PowerPoint-Fernbedienung in meiner Hand, und ein Bild von Daniel Trevor
erschien auf der Wand hinter mir. Einige leise Oooohs waren aus meinem gefesselten
Publikum zu vernehmen. Und sie waren buchstäblich gefesselt. Denn einer von Detective Robinsons
Zivilpolizisten hatte unbemerkt die Eingangstür von außen verriegelt.
»Daniel Trevor - der letzte
Woche ermordet wurde.«
Das rief bereits etwas
heftigere Reaktionen hervor. Ebenso wie das nächste Bild, dass nun direkt neben
Daniels aufleuchtete.
»Manfred Freetz von der
Bockenheimer Verlagsgesellschaft und Geschäftspartner von Daniel Trevor - ermordet in Frankfurt.«
Das allgemeine Gemurmel
schwoll weiter an. Und noch mehr mit dem dritten Foto.
»Malcolm Carlyle,
Privatdetektiv, von Daniel angeheuert und kurz darauf ermordet, direkt hier
nebenan.«
Auch wenn ich sie nicht direkt
ansah, kam es mir doch so vor, als nähmen die Radeks meine Offenbarungen
merkwürdig ungerührt zur Kenntnis.
Ich klickte ein weiteres Bild
an. »Das ist Terry Mclvor - ein unschuldiger junger Autodieb, der auf grausame
Weise verbrannte, weil man ihn mit mir verwechselt hat.«
Entsetztes Stöhnen aus dem
Publikum, aber das projizierte Bild war auch wirklich ziemlich entsetzlich.
Leider war es mir unmöglich gewesen, ein Bild von Terry Mclvor zu seinen
Lebzeiten aufzutreiben, doch irgendein helles Licht aus seiner Nachbarschaft
hatte mit dem Handy einen Schnappschuss seiner verbrannten Leiche gemacht und
ihn ins Internet gestellt, bevor man die Familie des armen Terry von seinem Tod
informiert hatte.
»Vier Morde, meine Damen und
Herren, und dabei hab ich noch nicht einmal das Schicksal von Rosemary Trevor
erwähnt ...«In ihrer ganzen Schönheit erstrahlte sie auf der Wand, direkt neben
ihrem Ehemann. »Daniels Frau, die seit fast einem Jahr als verschollen und
vermutlich tot gilt, nachdem sie eine Geschäftsreise nach Deutschland
unternommen hat, die in Verbindung mit eben jenem Buch stand, zu dessen
Veröffentlichung wir uns heute Abend eingefunden haben.«
Eine Weile blickte ich
schweigend und nachdenklich hinauf zu den Fotos, bevor ich mich wieder an meine
Zuhörerschaft wandte. »Diese Todesfälle wirken nach außen hin alle wie Unfälle
oder wie Selbstmorde oder als wären sie durch natürliche Ursachen bedingt. Aber
das scheint nur so. In Wahrheit sind es allesamt Morde. Kaltblütige
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