Bateman, Colin
in
Form eines epischen Gedichts vorzutragen?«
»Nein«, erwiderte sie.
Es gab kein Scheinwerferlicht,
keinen Trommelwirbel, nicht einmal ein Mikrofon; nur eine niedrige,
improvisierte Bühne, bestehend aus zwei Holzpaletten, einem Laptop und einer
kahlen Wand als Projektionsfläche. Als ich aus der Küche trat, unterhielten
sich die fünfzig Musiker, Verleger, Freunde und Mörder in beträchtlicher
Lautstärke. Vermutlich nahmen sie nicht mal meinen Soundtrack zu den
abendlichen Ereignissen zur Kenntnis, der laut genug aufgedreht war, um mehr
als unterschwellig zu sein: Es lief »Psycho Killer« von den Talking Heads,
Elvis Costellos »Watching the Detectives«, Itzhak Perlmans Interpretation der
Titelmelodie von Schindlers Liste, sowie Captain Sensibles Version von »Happy Talk«, um
all diejenigen zu verwirren, die zuhörten und nach verborgenen Mustern suchten.
Ich baute mich neben dem
Laptop auf und wartete darauf, dass Stille einkehrte. Und wartete. Ich wurde
nicht mal ausreichend bemerkt, um ignoriert zu werden. Irgendwann hämmerte
Jeff einen Löffel gegen eine Weinflasche und rief: »Meine sehr verehrten Damen
und Herren, ich bitte Sie um Ruhe für ein paar einführende Worte unseres Gastgebers,
ein Mann, den ich Ihnen wohl kaum eigens vorzustellen brauche.«
Dabei beließ er es, obwohl
eine Vorstellung genau das gewesen wäre, was ich dringend gebraucht hätte. Einen
richtigen Einheizer. Besser noch eine Art Vorgruppe. Obwohl mich keinerlei
Scheinwerfer blendeten, blinzelte ich. Schweiß rann mir von der Stirn. Mein
Herzschrittmacher heulte und surrte. Ich bin kein Mensch, der gerne Reden vor
großen Menschenmengen schwingt, ja nicht mal im engsten Kreis. Doch in diesem
Augenblick steckte ich als stark introvertierter Mensch in den Riesen latschen
eines extrovertierten. Meine Rede hatte ich auswendig gelernt - und prompt
vergessen. Sie lag zwar ausgedruckt vor mir, aber meine Sehfähigkeit war
plötzlich stark eingeschränkt. Hätte ich nicht vor kurzem erst einen
Schlaganfallpatienten kennengelernt, wäre ich davon ausgegangen, dass ich
soeben einen erlitt. Mein Blick fiel auf Mark Radek, der aufgrund seines hohen
Alters einen Platz in der ersten Reihe einnahm. Zu seiner Linken saß Max, dann
kam ein leerer Stuhl und dann Karl. Da sämtliche geliehenen Stühle im Raum besetzt
waren, erschien mir das zunächst merkwürdig, bis mir klar wurde, dass der leere
Platz für die einzige heute fehlende Hauptakteurin gedacht war, mit deren
Anwesenheit wir allerdings auch nie wirklich gerechnet hatten - Anne, Marks
Ex-Frau und Autorin des Buchs. Er hatte den Platz absichtlich frei gelassen,
als eine Art Tribut an ihre Person. Eine rührende Geste, hätte ich nicht
gewusst, was ich wusste, und wäre ich mir in diesem Wissen nicht ganz sicher
gewesen; aber da ich mir in meinem Wissen ganz sicher war und außerdem wusste,
dass er noch nicht wusste, was ich wusste, durchströmte mich eine neuerliche
Entschlossenheit, das Ganze durchzuziehen, mich meinen Dämonen zu stellen und
meinen Fall zu präsentieren.
Außerdem half mir Alisons
aufmunterndes Lächeln, das sie mir von der Seite her zuwarf.
»Meine Damen und Herren«,
begann ich, jetzt mit beherzter Stimme und klarem, nach vorne gerichteten
Blick. »Ich heiße Sie im Kein-Alibi-Buchladen willkommen, zu diesem Empfang
anlässlich der Veröffentlichung des ersten und vermutlich letzten Buchs von
Anne Smith.« Unter all denen im Publikum, die Anne kannten, erhob sich zustimmendes
Gemurmel. »Sie hatte in der Tat eine höchst bemerkenswerte Lebensgeschichte.«
Ich hielt ein Exemplar ihres Buchs empor. »Leider ist auf diesen Seiten hier
nur wenig davon die Rede.« Das Gemurmel schwoll an. »Bitte haben Sie etwas
Geduld mit mir, wenn ich Ihnen jetzt den Fall der jüdischen Musikanten darlege.«
42
»Bücher verkaufen ist ein
hartes Geschäft, meine Damen und Herren. Und es stellt immer neue Herausforderungen
an einen. Bohnen ändern sich nicht, Erbsen bleiben Erbsen, aber Bücher
entwickeln sich immer weiter. Der Profit ist mager, man macht endlose Überstunden,
und die Ladendiebe sind echte Nervensägen, denn sie könnten die verfluchten
Dinger ebenso gut in der Bibliothek ausleihen. Bohnen dagegen kann man nicht
ausleihen.«
Ich musterte mein Publikum.
Und es musterte mich.
Ich nickte. »Nein, Sir«, fuhr
ich fort, »Bohnen kann man nicht ausleihen.«
Einige Gäste, die mit meiner
Art noch wenig vertraut waren, schielten nach der Tür, als wäre
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