Bateman, Colin
Verbrechen,
begangen, um ein Geheimnis zu verschleiern, das die letzten sechzig Jahre im
Verborgenen schlummerte, das ich jedoch heute Abend zu lüften gedenke.«
Mein Publikum schnappte nach
Luft. Ich nickte in die Runde, wobei mein Blick gerade lange genug auf Mark
Radek ruhte, um festzustellen, dass er mich unverwandt anstarrte und keineswegs
erschüttert und nervös, sondern vielmehr entspannt, ja geradezu lässig wirkte,
oder sich zumindest diesen Anschein gab. Seine Hand hielt den Gehstock fest
umklammert, und die Knöchel leuchteten weiß.
»Aber ich greife vor.« Ich
klickte auf die Fernbedienung, und eine Aufnahme von Anne Radek als junger Violinistin
erschien auf der Wand, während die Mordopfer verschwanden. »Die Autorin. Kurz
nachdem diese Aufnahme gemacht wurde, hat sie Mark...«, ich nickte in seine
Richtung, »... in Warschau geheiratet. Unglücklicherweise besitzen wir
keinerlei Bilder von ihrem großen Tag.« Ich klickte erneut. »Doch dies ist die
Vision einer Künstlerin, wie die beiden damals ausgesehen haben müssen - der
Traum einer jungen Liebe. Diese talentierte junge Künstlerin ist übrigens heute
Abend anwesend - Applaus für Alison!« Alison lächelte verschämt, während ein
Großteil des Publikums sich zu ihr umdrehte. »Alison ist außerdem die Autorin
einer Reihe von Graphic Novels und Comics, die hier im Buchladen erhältlich
sind.« Ich deutete auf das betreffende Regal. Es ist immer wichtig, solche
Gelegenheiten beim Schopf zu packen, um den Umsatz anzukurbeln. »Wieder zurück
in Warschau begannen sich die Verhältnisse zum Schlechten zu wenden. Die Nazis
waren an der Macht, und alle Juden waren gezwungen, sich für die Deportation
registrieren zu lassen. Unser junges Liebespaar wurde nach Auschwitz
verschleppt. Dort wurden sie getrennt in das dortige Männer- und Frauenlager
interniert. Anne war von einem unglaublichen Überlebenswillen beseelt und besaß
einen nicht zu bezwingenden Kampfgeist. Selbst inmitten der Gräuel des
Todeslagers hat ihre Liebe zur Musik sie gerettet.«
Ich klickte auf das nächste
Bild. »Ja, meine Damen und Herren, es ist wenig bekannt, dass selbst in
Auschwitz musiziert wurde.« Ich gab ihnen etwas Zeit, darüber nachzudenken,
bevor ich fortfuhr. »Und obwohl Millionen um sie herum starben, überlebten Anne
und Mark erstaunlicherweise den Krieg, schafften es sogar, jeder auf eigene
Faust, zurück nach Warschau zu gelangen, wo sie in wenigen Stunden Abstand
eintrafen. Ein freudiges Wiedersehen, das wir hier miterleben dürfen -
wiederum in einer meisterhaften Darstellung von Alison.«
Ich strahlte sie erneut an,
aber sie wirkte nicht sonderlich glücklich. Vielmehr zog sie eine seltsame
Schnute, ruckte immer wieder mit dem Kinn und verdrehte die Augen, was
offensichtlich so viel bedeuten sollte wie: Mach endlich weiter. Aber ich würde nichts
überstürzen. Es war äußerst wichtig, die Hintergründe zu entfalten.
»Jedenfalls, es erwies sich
als ausgesprochen schwierig, in Warschau unterzukommen, und als die Kommunisten
die Macht übernahmen, beschlossen Anne und Mark, schnell weiterzuziehen. Da
irgendeine obskure Familienverbindung zu unserer Stadt hier bestand, verschlug
es sie bald nach Belfast, was zu dieser Zeit noch eine kluge Idee zu sein
schien. Sie waren entschlossen, sich an ihre neue Umgebung anzupassen, und
änderten ihren Namen in Smith. Mark gründete das Autohaus Smith Motors, das wir
heute alle kennen, während Anne sich wieder ihrer geliebten Musik widmete. Der
Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte, und all diese Geschichten können
Sie in ihrem wundervollen Buch nachlesen.« Der Umschlag des Buchs erschien auf
der Wand, gefolgt von diversen Aufnahmen, die Anne bei Konzerten zeigten. Diese
sorgten für den entsprechenden Hintergrund, ruhig und unaufdringlich, während
ich weiter die düsteren Themen vertiefte. »Sie fragen sich jetzt gewiss, welche
Verbindung zwischen diesem spannenden, sorgsam illustrierten und prachtvoll
ausgestatteten Band und den heimtückischen Morden besteht. Nun, meine Damen und
Herren, das alles hat mit Rosemary Trevors zufälliger Entdeckung zu tun, dass
Anne in Auschwitz gewesen war. Auch wenn es nicht direkt ein Geheimnis war, so
hat sie es doch nie öffentlich erwähnt und auch nicht zum Thema ihrer Memoiren
gemacht. Rosemary hat dennoch sofort erkannt, dass dies die eigentliche Story
war, und hat versucht, Anne dazu zu bewegen, alles aufzuschreiben. Ab diesem
Moment war ihr Schicksal
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