Bateman, Colin
Gehirn ist verkrüppelt durch die
Erkenntnis, nie wieder laufen zu können. Seine Gefühle sind verkrüppelt, weil
er seiner Frau nicht erklären kann, was in ihm vorgeht, denn ihm fehlen die
richtigen Worte, und sie hat keine Geduld und gibt ihm nicht die Chance, die
Worte zu finden. Sie hat ihr Leben lang hart gearbeitet, immer in Erwartung
ihrer Pensionierung, um die wenigen verbleibenden Jahre mit ihrem Ehemann zu
genießen. Aber jetzt ist er genau das, als was sie ihn bezeichnet, vor sich
selbst, oder vor ihren Freundinnen, wenn sie getrunken hat - er ist ein verfluchter Krüppel, und er kriegt keinen mehr
hoch, und sie will verdammt sein, wenn sie sich damit zufrieden gibt, sie wird
...«
»Genug.«
Alison hielt inne. Brendan
baute sich vor ihr auf. Die Gruppe starrte wie gebannt. Ich lehnte an der
Theke, voll Bewunderung.
»Sie dürfen nicht Krüppel
sagen. Und jetzt zum letzten Mal, verlassen Sie den Stuhl.«
Sie fixierten sich
gegenseitig.
Mir stand der Schweiß auf der
Stirn.
»Krüppel«, wiederholte Alison.
»Krüppel, Krüppel, Krüppel.«
»Das war's.« Brendan zeigte
auf die Tür. »Verlassen Sie sofort meinen Unterricht!«, fauchte er. »Ich mache
das hier umsonst, verstehen
Sie! Ich gebe etwas zurück. Ich teile etwas mit den
Menschen, reiche mein Wissen weiter.
Und alles, was ich dafür
verlange, ist ein Minimum an Respekt.«
Alison pflückte ihre wollene
Fliegermütze aus dem Schoß und zog sie sich entschlossen über die Ohren, bevor
sie vom Stuhl rutschte. Dann marschierte sie zur Tür und riss sie auf. Einen
Moment lang zögerte sie und warf mir einen viel zu kurzen Blick zu, bevor sie
erneut Brendan fixierte.
»Wenn Sie mich fragen«, sagte
sie und hob die Hand, »ist es nicht der beschissene Schreibmuskel, auf den Sie
sich konzentrieren sollten.«
Dann deutete sie das
international verständliche Handzeichen für Wichsen an, bevor sie freundlich
lächelnd verschwand und meinen Buchladen als lichteren Ort zurückließ.
11
Brendan Coyle war nichts
anderes gewohnt als absolute Unterwürfigkeit. Zwar gelang es ihm, die kurzfristige
Schockstarre zu überwinden, die Alisons Auftritt und Abschiedsgeste bei ihm
ausgelöst hatten, doch wirkte er während des gesamten Kurses ziemlich angekratzt
und glich auch danach noch einem schwitzenden, keuchenden Wrack. Zumindest bis
ich Mitleid bekam und ihm eine Flasche billigen Weißwein kredenzte. Diese war
mir bei einem meiner Fälle als Dankeschön verehrt worden, ich hatte sie jedoch
bisher nicht zu öffnen gewagt. Alle Weine mit Schraubverschlüssen und dem Wort lieblich auf dem Etikett sollte man mit
Vorsicht genießen. Während unseres nachfolgenden Gesprächs war ich bemüht,
möglichst vom Thema Alison abzulenken - ich war selbst noch ziemlich aufgewühlt,
weil ich sie endlich kennengelernt, mit ihr gesprochen, ihr sogar einen
Gefallen erwiesen hatte, wofür ich von ihr einen dankbaren Blick geerntet
hatte; und das Letzte, was sie getan hatte, bevor sie Brendan mit ihrer
Abschiedsgeste bedacht hatte, war, mir tief in die Augen zu schauen. Ich
wusste, das hatte etwas zu bedeuten.
Daher war ich nicht bereit zu
dulden, dass in meinem Laden die Frau, die ich liebte, wiederholt von einem
Mann herabgesetzt wurde, der absolut nichts von Kriminalliteratur verstand und
trotzdem als einer ihrer Meister gerühmt wurde. Stattdessen wandte ich mich
dem einzigen Thema zu, das uns verband, nämlich Bücher. Aber selbst das führte
aufgrund unserer unterschiedlichen Vorlieben rasch in eine Sackgasse, bis ich
zufällig erwähnte, dass der Verleger von Belfast-Bücher unlängst meinen Laden
besucht und mich um Hilfe bei der Suche nach seiner verschwundenen Frau
angefleht hatte.
»Sie meinen
Beale-Feirste-Bücher?« Ich nickte träge. »Wie der Zufall will«, fuhr er fort, »kenne
ich Daniel recht gut. Sie leisten dort wirklich bewundernswerte Arbeit, da sie lokale Talente fördern.« Brendan
betonte ausdrücklich das Lokale. Womit er zu verstehen gab, dass er nicht zu den lokalen Künstlern
gehörte. Sondern vielmehr zu den internationalen. »Schrecklich, diese
Geschichte mit Rosemary. Attraktive Frau.«
»Und was hört man so für
Gerüchte?«, streute ich ein. »Hat er ihr eine mit dem Spaten übergebraten?«
Er schenkte mir einen halb
verächtlichen, halb mitleidigen Blick, als hätte er nichts anderes erwartet
von einem Mann, der auf Schundliteratur spezialisiert war. »Ich denke eher
nicht. Sie haben sich innig geliebt, sie waren wie die
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