Bateman, Colin
immerhin seit ich
mit zwölf die Masern hatte und es keinen Lesestoff im Haus gab, weil mein Vater
als freier Presbyterianer vulgäre Sprache und Literatur untersagte, und ich
mich daher irgendwie anderweitig beschäftigen musste. Damals füllte ich
zahlreiche Bände mit Autokennzeichen und verbrachte Stunden damit, verborgene
Muster darin zu suchen. Diese Angewohnheit habe ich bis zum heutigen Tag
beibehalten. Ich habe zwar bisher noch keine verborgenen Muster entdeckt, bin
aber der festen Überzeugung, dass das hauptsächlich an diesen persönlichen
Wunschkennzeichen liegt, die neuerdings in Mode sind und auf die ich eine Art
pathologischen Hass entwickelt habe. Routinemäßig zerkratze ich den Lack von
Autos mit persönlichen Wunschkennzeichen, wobei ich einen Nagel verwende, den
ich mir eigens zu diesem Zweck zugelegt habe. Es ist nicht leicht, einen
einzelnen Nagel zu erwerben, und der Mann im Eisenwarenladen brauchte eine
halbe Ewigkeit, bis er mir endlich den Preis nennen konnte; er versuchte immer
wieder, mir mehr Nägel für dasselbe Geld aufzudrängen, aber ich lehnte
kategorisch ab. Immerhin sind diese Dinger nicht ungefährlich. Fiele mein
Lackkratzernagel der Polizei in die Hände, würde sie bei einer gründlichen
Analyse mikroskopische Lackpartikel Tausender Autos daran finden, und ich
würde augenblicklich verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Das ist einer der
Gründe, warum ich nicht gerne was mit der Polizei zu tun habe: Sie könnten
meinen Nagel entdecken. Ich bewahre ihn im Kühlschrank in der kleinen Küche
hinten im Laden auf. Immer wenn ich zum Einkaufen gehe, hole ich den Nagel
heraus, für den Fall, dass mir unterwegs irgendwelche persönlichen
Wunschkennzeichen begegnen. Außerdem lerne ich immer noch routinemäßig normale
Kennzeichen auswendig und notiere sie mir gewissenhaft, wenn ich in den Laden
zurückkehre. In diesem besonderen Moment jedoch beeilte ich mich damit, sie
hinzukritzeln, denn ich hatte bemerkt, dass Alison gerade ihre Arbeit im
Juwelierladen wieder antrat. Es heißt ja, Schönheit liegt im Auge des
Betrachters, aber ich glaube, das trifft nur in einigen Fällen zu. So ist aus
meiner Sicht jeder ein Heuchler, der beim Anblick eines Fotos von Rosemary
Trevor diese Frau nicht als schön bezeichnen würde. Aber unter einem Dutzend
Männern finden sich vermutlich nur zwei oder drei, die bestätigen würden, dass
Alison in genau dieselbe Kategorie fällt. Und das ist gut für mich, denn ich
schlage mich nicht gerne mit Konkurrenz herum. Wahrscheinlich könnte eine Frau
niemals meine Sonne und meine Sterne, meine Erde und mein Mond sein, wenn auch
nur der Hauch einer Chance besteht, dass jemand sie mir wegnimmt. Ich dankte
Gott dafür, dass Alison den lässigen Haarschnitt und das chirurgisch
aufgehübschte Lächeln Brendans durchschaut hatte. Und ich konnte nur inständig
hoffen, dass es niemanden sonst in ihrem Leben gab. Mit Inbrunst betete ich
darum, dass ihre Lebensumstände ähnlich traurig wie die meinen waren und dass
ihr in ihren bisherigen Beziehungen nur Ablehnungen und Enttäuschungen widerfahren
waren; dass sie die Phase, in der sie sich ausschließlich für attraktive
Männer interessierte, bereits hinter sich gelassen hatte und dass ihre
Standards ausreichend der Wirklichkeit angepasst waren, um auch schwere
Persönlichkeitsstörungen und Formen romantischer Schwärmerei, die an Stalking
grenzten, in Erwägung zu ziehen. Ja, meine Selbsteinschätzung ist durchaus
realistisch.
Bei mir wird die bittere Pille
nicht mit Zuckerguss versüßt.
Alison warf nicht einen
einzigen Blick über die Straße in meine Richtung. Was aus meiner Sicht jedoch
nicht allzu viel zu bedeuten hatte. Klar, sie war aus meinem Buchladen
gestürmt, aber das war schließlich nicht meine Schuld. Und wenn ich einmal
verglich, was ich heute Morgen über sie gewusst hatte - nämlich so gut wie gar
nichts - und was ich jetzt alles wusste, übertraf meine aktuelle Lage meine
kühnsten Träume. Schon so lange bewunderte ich sie aus der Ferne. (Na ja,
nicht immer aus der Ferne, ein paarmal war ich ihr ziemlich nahe gekommen, als
ich ihr beim Einkaufen gefolgt war.) Und nun kannte ich plötzlich nicht nur
ihren Vornamen - Alison, was »kleine Alice« bedeutet, und Alice heißt so viel
wie »von noblem Geblüt«; eine Prinzessin also, ganz ohne Zweifel -, sondern ich
wusste auch, dass ihr Hauptinteresse nicht dem Juwelierladen galt. Sie war
eine Künstlerin, die sich mit dem Schreiben abmühte. Auch
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