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Bateman, Colin

Bateman, Colin

Titel: Bateman, Colin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein Mordsgeschaeft
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mich neben sie auf die Kante des Krankenbetts
zu setzen. Aber ich blieb, wo ich war. Ich war kurz vorm Durchdrehen. Meine
Augendeckel flatterten unablässig. Am liebsten hätte ich ihr zugerufen: Beeil
dich, das ist hier nicht die TV-Märchenstunde, die Besuchszeit ist bald vorüber,
und wenn wir nicht schnell von hier verschwinden, vergisst man uns womöglich,
riegelt die Station ab, schließt die Pforten und schaltet das Licht aus, und
wir sehen die Freiheit nie wieder; Wachsoldaten in Lederstiefeln werden in den
hallenden, nächtlichen Gängen auf und ab marschieren und dafür sorgen, dass
niemand seinen Raum verlässt oder spricht oder auch nur etwas lauter atmet als
unbedingt nötig.
    Schwitzend und zitternd stand
ich da, kurz vor einer Ohnmacht. Doch dann tat Anne Radek etwas, wozu ich sie
nicht mehr imstande geglaubt hätte: Diese verwirrte alte Dame begann uns eine
Geschichte zu erzählen, die uns komplett in ihren Bann schlug.
     
    20
     
    Tiefe Betroffenheit spiegelte
sich in Alisons Gesicht. Sie fuhr sogar noch vorsichtiger, als ich es normalerweise
tat. Es war fast elf Uhr abends, und die Straßen waren feucht und
menschenleer. Wir waren die Letzten, die das Hospital verlassen hatten.
Fasziniert hatten wir Annes Geschichte gelauscht. Und erst als sie geendet
hatte, mit Freudentränen auf den Wangen, und ich mich abwandte, um mir heimlich
selbst die Augen zu wischen, bemerkte ich, dass es noch andere Zuhörer gab.
Zwei Stationsschwestern und drei andere Patienten hatten sich leise genähert,
um die Geschichte mit zu verfolgen.
    Jetzt, im Lichtschein der
vorbeihuschenden Straßenlaternen, spähte ich beständig hinüber zu meiner Assistentin.
Es gefiel mir gar nicht, sie so schweigsam zu sehen. Normalerweise war sie doch
immer ganz aufgekratzt. Sie war mein Gegenmittel.
    Wir bogen von der Lisburn Road
ab und hielten vor einem dreistöckigen Gebäude, das man in ein Apartmenthaus
umgewandelt hatte. Obwohl ich ihr früher schon viele Male gefolgt war, hatte
ich es nie ganz bis zu ihr nach Hause geschafft. Einesteils aus Angst vor dem,
was ich dort herausfinden würde, andernteils, weil ich möglicherweise sogar
dabei ertappt wurde - von einem Garten aus durch ein Fenster zu spähen, hatte
mich früher schon in Kalamitäten gebracht; der Hauptgrund bestand jedoch darin,
dass ich zumeist durch irgendetwas anderes abgelenkt wurde, entweder
Nummernschilder oder eine ungewöhnliche Ampelfolge. Während sie den Motor des
Kein-Alibi-Lieferwagens abwürgte, nickte sie in Richtung des Hauses. »Ich wohne
ganz unten. Ich reiß mir fast ein Bein aus, um das Geld dafür aufzutreiben.«
Ich nickte.
    »Du musst auch daran denken,
oder?«, fragte sie.
    »Ehrlich gesagt, finde ich es
schwer, mir dich ohne Beine vorzustellen.«
    Sie schnaubte. »Ich meine all
diese armen Menschen.«
    Ich nickte. In Wahrheit hatte
ich auf dem ganzen Weg von Purdysburn hierher Straßenlaternen gezählt. Das
Schicksal Anne Radeks hatte ich in einen abgelegenen Winkel meines Hirns
verbannt, um mich später in den langen Stunden der Schlaflosigkeit damit zu
beschäftigen. Im Moment wartete ich darauf, dass Alison endlich ausstieg,
damit ich hinters Steuer rutschen und meinen Heimweg antreten konnte.
    »Nach so einem Erlebnis will
man eigentlich gar nicht alleine sein«, bemerkte sie.
    Ich studierte die
Benzinanzeige. Der Tank war genau halbleer. Vorausgesetzt natürlich, die
Anzeige funktionierte richtig, und man hatte mir kein minderwertiges, mit Wasser
versetztes Benzin untergejubelt.
    »Willst du noch mit
reinkommen?«
    »Nein.«
    »Okay.«
    Sie machte immer noch keine
Anstalten auszusteigen.
    Der Lieferwagen hatte einen
Dieselmotor, lief aber trotzdem erstaunlich ruhig.
    »Bist du sicher? Du könntest
meinen Mann kennenlernen.«
    Ich riss die Augen auf.
    »Nur ein Späßchen«, beruhigte
sie mich. Und fügte nach längerem Schweigen hinzu: »Eigentlich wollte ich
sagen, du könntest meine Frau kennenlernen.«
    Nach einer längeren Pause
erwiderte ich: »Deine Frau?«
    »Nein, du Blödi.« Sie lächelte. »Wie magst du
deinen Toast?«
    »Verbrannt«, erklärte ich.
    »Also, willst du zum Essen
reinkommen, oder soll ich ihn dir auf einem Teller rausbringen?«
    Ich fragte mich, warum die Benzinuhr
immer noch auf halbvoll stand, obwohl der Motor ausgeschaltet war. Vielleicht
zeigte sie nicht nur ungenau an, sondern war völlig hinüber; und sobald ich
losfuhr, ging möglicherweise der Kraftstoff zur Neige, und ich saß irgendwo in
der Einöde von

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