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Bateman, Colin

Bateman, Colin

Titel: Bateman, Colin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein Mordsgeschaeft
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dort recht häufig eine übernatürliche ...«
    »Wann hältst du endlich mal
die Klappe?«, zischte
Alison. »Ich glaube, das ist sie.«
    Gutes Timing, denn die Quelle
meines Wissen über chinesische Detektivliteratur begann gerade zu versiegen.
Stattdessen wandte ich meine Aufmerksamkeit unserer Kellnerin zu, die sich in
diesem Moment auf einen Tisch ganz in der Nähe zubewegte. Sie nahm zwei Teller,
wandte sich um und lief direkt an uns vorbei. Tatsächlich hatte sie große
Ähnlichkeit mit dem Foto von May, das Alison schnell noch einmal überprüfte,
bevor sie es mir heimlich zeigte. Ja, schon möglich - allerdings trug die Frau
ihr schulterlanges, schwarzes Haar über die Ohren gekämmt, also konnten wir uns
nicht definitiv sicher sein.
    Wir verspeisten den ersten
Gang und dann den Hauptgang, ohne die Kellnerin aus den Augen zu lassen, und
warteten auf den großen Moment der Offenbarung. Irgendwann im Lauf des Abends
würde sie unwillkürlich die Haare hinter die Ohren streichen oder sie mit einer
schnellen Geste in Ordnung bringen oder sich am Kopf kratzen; irgendwie würde
sie ihre verborgenen Hörorgane bloßlegen. Und wirklich, als wir gerade das
Dessert bestellten und Alison nach etwas fragte, das nicht auf der Speisekarte
stand, musste die Kellnerin einen Augenblick nachdenken, wobei sie langsam ihr
Haar hinter das linke Ohr zurückschob.
    Wir erhaschten nur einen kurzen
Blick darauf. Es war eher groß, lag aber flach am Schädel an.
    Es war ein sehr enttäuschendes
Ohr.
    Wir verzichteten auf die
Nachspeise und brachen rasch auf.
    Ich fuhr Alison nach Hause.
Vor ihrem Apartment saßen wir noch eine Weile im Kein-Alibi-Lieferwagen.
»Willst du mit reinkommen?«, fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich beiße nicht, das weißt du
schon.« Ich starrte auf das Armaturenbrett. »Oder vielleicht ist es ja gerade
das, was du willst?«
    Ich blinzelte sie an. »Hast du
irgendeine Vorstellung davon, wie viele Viren und Bakterien sich im menschlichen
Mund tummeln? Wenn du jemanden beißt, kannst du ihm ebenso gut eine Spritze mit
Ebola-Viren ...« Ich räusperte mich und lächelte. »Nur ein Scherz.«
    Natürlich war es das nicht.
    »Du zierst dich«, erklärte
Alison. »Normalerweise ist es umgekehrt.« Ich zuckte mit den Achseln.
    »Aber mir gefällt das bei
Männern. Ich mag die Herausforderung. Ich finde es langweilig, wenn alles von
Anfang an klar ist. Da draußen gibt es Mädchen, für die macht es keinen Unterschied,
ob sie dir beim ersten Date einen Kuss auf die Wange geben oder dir einen
blasen. Aber Sex ist nicht alles. Verstehst du, was ich meine?«
    Ich hatte so eine Ahnung, war
aber viel zu verlegen, um eine zusammenhängende Antwort herauszubringen. Daher
grunzte ich nur.
    Sie küsste mich auf die
Lippen. Nur ganz leicht. Anschließend blickte sie mich erneut an und nickte.
»Ja, ohne Zweifel«, bekräftigte sie, »du bist definitiv eine Herausforderung.«
    Dann schlüpfte sie aus dem
Lieferwagen.
     
    *   *   *
     
    Gegen drei Uhr morgens rief
sie mich an. Ich war immer noch auf, um nach Mustern zu suchen, täuschte jedoch
ein Gähnen vor, um ihr ein schlechtes Gewissen zu machen. Sie erklärte mir,
wir müssten noch einmal zurück in den Hong Kong Palace.
    »Warum? So lecker war das
Essen jetzt auch wieder...«
    »Die Kellnerin. Sie ist es.
Ich bin mir sicher.«
    »Aber du hast doch ihr Ohr
gesehen.«
    »Ich weiß. Trotzdem müssen wir
da nochmal hin.«
    Sie gab keine näheren Gründe
an, offensichtlich handelte es sich um weibliche Intuition.
    Natürlich machte ich mich
darüber lustig, aber sie ließ sich nicht davon abbringen. Also willigte ich
schließlich ein.
    Dann fragte sie: »Du liegst
also schon im Bett?«
    »Ja.«
    »Und was hast du an?«
    »Meinen Pyjama.«
    »Weißt du, was ich anhabe?«
    »Nein.«
    »Das Radio.«
    »Warum?«
    »Stimmt gar nicht. Ich hab
keine Kleider an. Ich bin nackt.«
    »Okay.«
    Es folgte eine lange Pause.
    Irgendwann fragte ich dann:
»Morgen um welche Zeit?«
    »Mittagspause.«
    »Ich muss jetzt Schluss
machen«, erklärte ich. »Mutter ruft mich.«
    »Ich höre aber gar nichts.«
    »Vielleicht ist sie aus dem Bett gefallen.«
    »Wenn im Wald ein Baum
umfällt, und niemand es hört, fällt er dann trotzdem um?«
    »Was?«
    »Egal. Wir sehen uns morgen.
Und denk beim Einschlafen bloß nicht daran, dass ich nackt bin.«

»Okay.«
    Ich legte den Hörer auf. Eins
stand definitiv fest. Sie war ein ziemlich schräger Vogel.
     
    Das Hong Kong Palace war

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