Bateman, Colin
Opiumhöhlen und Spielsalons, aber für
die machen sie keine Werbung. Allein die gewaltige Zahl an Lokalen deutete
darauf hin, dass wir die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen suchten; es sei
denn, es gelang uns, das Feld irgendwie einzugrenzen. Und hier kam Jeff ins
Spiel. Während eines weiteren unbarmherzig kundenfreien Nachmittags wies ich
ihn an, so viele Chinarestaurants im Innenstadtbereich anzurufen, wie er in
den Gelben Seiten finden konnte, um sich dann unter irgendeinem Vorwand nach
dem Familiennamen der Besitzer zu erkundigen und diesen mit Mays Namen zu
vergleichen. Ich war mir ziemlich sicher, dass bei ihrer Vermittlung in ein
anderes Lokal familiäre Beziehungen zum Tragen gekommen waren. Jeff gelang es,
acht Restaurants und drei Imbisse ausfindig zu machen, die Mays Namen trugen.
Auf diese würden wir unsere Ermittlungen konzentrieren.
Wir gingen mittags essen, wir
gingen abends essen, ich entdeckte, dass ich Currys einigermaßen gut vertrug,
wir legten an Gewicht zu. Wir studierten die Ohren unserer Bedienungen. Wir
machten keine schnellen Fortschritte. Aber es war trotzdem keine
Zeitverschwendung. Ich lernte Alison besser kennen, und sie tat ihr Bestes, um
mir alle möglichen Informationen aus der Nase zu ziehen.
»Manchmal«, bemerkte sie, »ist
es, als würde man versuchen, Blut aus Steinen zu wringen.« Dann lächelte sie
und fügte hinzu: »Das klingt wie der Titel von einem deiner Bücher. Blutige Steine.«
»Ein Titel von Donna Leon. Vor
ein paar Jahren erschienen.«
Alison lächelte. »Gab es
jemals«, fragte sie, während sie sich in unserem aktuellen Lokal umsah, dem
Hong Kong Palace am unteren Ende der Great Victoria Street, »einen chinesischen
Detektiv? Ich glaube, ich kann mich erinnern, mal einen im Fernsehen gesehen
zu haben.«
»In Schieß in den Wind, Ho, hatte David Yip eine Hauptrolle
als Sergeant John Ho. Das war in den frühen Achtzigern, da warst du vermutlich
so um die drei Jahre alt.«
Alison schüttelte den Kopf.
»Dann waren es wahrscheinlich Wiederholungen. Aber mal ehrlich, du bist ja ein
wahre Fundgrube an nutzlosen Informationen.«
»Keine Information ist
nutzlos. Alles hat eine Bedeutung.«
»Himmel, und jetzt klingst du
wie chinesischer Glückskeks.«
Ich nickte und spähte
ebenfalls im Lokal umher. »Und dann gibt es natürlich Charlie Chan.«
»Pst«, flüsterte Alison. »Du
darfst in einem Chinarestaurant nie Charlie Chans Namen aussprechen, das ist
beleidigend.«
»Warum?«
»Ist eben so. Ist er nicht einfach
ein fetter, weißer Kerl gewesen, dem sie die Augen mit Tape nach hinten gestrafft
haben?«
Ich seufzte. »Ich rede hier
nicht über die verblödeten Filme. Ich rede von den bahnbrechenden Romanen -
Earl Biggers hat sie kurz nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben. Er hat damals
in Honolulu gelebt und in der Zeitung von den Heldentaten eines Detektivs
namens Chan Apana gelesen. Insgesamt hat er sechs Bücher über ihn geschrieben,
und erst als sich die Filmindustrie Charlie Chans bemächtigt hat...«
»Pst...«
Keine Ahnung, warum sie mir
dauernd den Mund verbot. Schließlich war sie diejenige, die sich des Langen
und Breiten über Krüppel ausgelassen hatte. Wo lag da der Unterschied?
Es war das sechste von
insgesamt acht Restaurants. Während die Kellnerin die Vorspeisen vor uns
abstellte, studierte Alison sie aufmerksam. Als sie wieder abzog, fuhr ich
fort.
»... ist aus ihm dieser Clown
geworden, als den wir ihn kennen. Aber die Bücher lesen sich immer noch erstaunlich
frisch, auch wenn sie heutzutage fast nicht mehr erhältlich sind.«
Alison nickte, griff dabei
aber in ihre Handtasche und zog Mays Foto und die Skizzen ihrer Ohren heraus.
»Natürlich«, ergänzte ich,
»ist das immer noch ein westlicher Blick auf die chinesische Kultur und eine
verwestlichte Version chinesischer Verhältnisse. Interessant ist allerdings,
dass einige der allerersten Detektivgeschichten aus China stammen. Für
gewöhnlich halten wir Poe oder Wilkie Collins für die Erfinder des Genres, aber
in Wahrheit gibt es eine ganze Reihe alter, chinesischer Detektiverzählungen -
etwa Di
Gong An, was
übersetzt so viel bedeutet wie Die legendären Fälle des Richters Dee -, ein Buch, das im 17.
Jahrhundert extrem populär war. Natürlich unterscheiden sie sich ziemlich von
unseren Detektivromanen; sie sind vielmehr Beispiele für das, was man eine
umgekehrte Detektivgeschichte nennt, weil bereits am Anfang Täter und Motive
eingeführt werden. Außerdem gibt es
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