Bateman, Colin
stand.
Bevor Detective Robinson sich
wieder auf den Weg machte, bat er mich noch, ihn über zukünftige Verkaufsabende
zu informieren. Kurz danach ließ ich auch Jeff abziehen. Er wirkte
nachdenklich. Gebannt hatte er dem alten Mann gelauscht, als er über das Leben
im Lager berichtet hatte, wie er von seiner Frau getrennt worden war und ihre
große Wiedersehensfreude in Warschau nach dem Krieg. Beiden hatte man erzählt,
der jeweils andere wäre tot. In dem ganzen Chaos ummittelbar nach dem Krieg
musste der Heimweg ein einziger Alptraum gewesen sein - trotzdem hatten beide
mit nur wenigen Stunden Abstand ihre alte Wohnung erreicht.
Alison
und ich blieben alleine zurück.
»Du
hattest Tränen in den Augen«, bemerkte ich.
»Ich
mag rührende Liebesgeschichten.«
»Normalerweise stirbt in
sentimentalen Liebesgeschichten immer eine der Hauptfiguren.«
»Du gehörst zu diesen
Menschen, die immer das halbleere Glas sehen und nicht das halbvolle, oder?«
»Ich
bin Realist.«
»Glaubst du, du hättest um
meinetwillen ein Todeslager überlebt?«
»Nein.«
»Das schätze ich auch. Du
hättest keine fünf Minuten überlebt. Du wärst schon ausgerastet, wenn du festgestellt
hättest, dass sie dort keinen Frappuccino servieren.«
»Ich wäre erst gar nicht in
einem Lager gelandet. Ich hätte
mich dem Widerstand angeschlossen.«
Sie lachte. »Ja, ganz
bestimmt. Conan der Buchhändler.«
Ich hob eine Augenbraue. Alison auch. Es war wie ein
Pokerduell bei höchsten Einsätzen, nur mit Augenbrauen. »Was hast du jetzt vor?«
»Nachdenken«, erwiderte ich.
»Über was?«
Ȇber
den Fall
der jüdischen Musikanten.«
» Du meinst, du rollst ihn
wieder auf.«
»Er
war nie abgelegt.«
»Tja, ich kann dir heute Abend
leider nicht helfen«, erklärte sie, »ich hab noch zu tun.«
»Um die Zeit? Ich hab gedacht,
wir könnten uns darüber austauschen, wie...«
Sie schüttelte den Kopf. Sie
wollte sich ans Zeichnen machen. Radeks Geschichte hatte sie inspiriert, und
sie wollte etwas zu Papier bringen, solange die Eindrücke noch frisch waren.
Ich reagierte milde enttäuscht, betrachtete die ganze Sache aber pragmatisch.
Es war ja nicht so, dass sie mit jemand anderem abzog. Klar, ich wollte über
den Fall nachdenken. Aber gleichzeitig wollte ich Alison ganz für mich alleine.
Ich wollte die Rollläden herunterlassen und mit ihr über Mord und über das Wer,
Was, Wo, Wann und Warum des Ganzen sprechen. Aber es sollte nicht sein.
Stattdessen küsste sie mich, bevor sie ging, ziemlich intensiv.
Will sagen, mit der Zunge.
Danach stand ich unter Schock.
Ich hockte hinter der Theke,
die Rollläden geschlossen, das Licht eingeschaltet. Meine Gedanken wanderten zurück
zu Mark Radek und seiner Frau, wie romantisch das alles war, und wie Recht
Alison hatte: Ich war einer
dieser Typen, die immer das halbleere Glas sahen, und vielleicht sollte ich mir
eine Scheibe von ihr abschneiden und mehr das Positive ins Auge fassen. Aber je
länger ich darüber nachdachte, desto mehr tendierte ich dazu, es lieber doch
nicht zu tun. Mark Radek und seine Frau hatten den Krieg überlebt, sie waren
nach Nordirland gezogen und hatten sich nach vierzig Ehejahren und zwei erwachsenen
Kindern getrennt. Er hatte kein Wort über die näheren Umstände der Trennung
verloren, aber offensichtlich hegte er noch immer starke Gefühle für sie.
Gleichzeitig war das Ganze ein weiteres gutes Beispiel dafür, warum es absolut
richtig war, vom prinzipiellen Elend der Welt auszugehen. Nichts währte ewig,
alles war dem Untergang geweiht.
Ich zückte mein Notizbuch.
Neben der Nummer, die auf Anne Radeks Arm tätowiert war, schrieb ich die ihres
Mannes. Ich hatte nur einen kurzen Blick darauf erhascht, und die Tinte war
ziemlich verblasst und verschwommen, aber mittlerweile war ich Experte im
Erinnern von Zahlenfolgen. Also besaß ich jetzt zwei Lagernummern: Man konnte
das zwar schwerlich als Sammlung bezeichnen, aber immerhin war nur eine
limitierte Anzahl dieser Nummern vergeben worden. Daher erschien es wesentlich
verlockender, ein Muster unter diesen Nummern zu entdecken als im unendlich
expandierenden Universum der Autokennzeichen.
Außerdem notierte ich mir das
Kennzeichen seines Jaguars.
Es lautete MM 3
Ein
persönliches Wunschkennzeichen.
In gewisser Weise war es in
seinem Fall entschuldbar, anders als bei all diesen Angebern. In den Lagern war
alles darauf ausgerichtet gewesen, jegliche Individualität und Persönlichkeit
auszulöschen und
Weitere Kostenlose Bücher