Batmans Schoenheit
entschied sich, die Sache bedächtig anzugehen. Ganz im Stil eines Opferrituals. Er opferte Zeit, die er – angesichts der Möglichkeit, daß es auf Minuten oder Sekunden ankam – ja gar nicht besaß. Aber selbstverständlich ergibt ein Opfer nur dann einen Sinn, wenn es sich um etwas Rares oder sogar Unverzichtbares handelt. Das kapieren die heutigen Leute nicht, wenn sie peinlicherweise von ihren beträchtlichen Vermögen vergleichsweise winzige Beträge für gute Zwecke zur Verfügung stellen. So schrecklich es klingen mag, aber die alten Könige wußten schon, warum sie nicht ein paar Hühner opferten, sondern etwa die eigene geliebte Tochter. Nicht, daß man sich so was antun muß, aber die vollkommen schmerzfreie Darbringung abschreibbarer Geldsummen ist eher etwas, daß den Zorn der Götter provoziert, als sie gütig zu stimmen. Vielleicht ist deshalb das Leben der Reichen so unglücklich und ihr Lachen so verzweifelt.
Cheng nahm sich also wertvolle und mitnichten irgendeinen Steuerbetrag reduzierende Zeit und marschierte über die am Ende des Weges gelegene kleine Kanalbrücke. Gleich dahinter öffneten sich Felder, die auf das entfernte, sich aus dem Sattel hebende Stammersdorf zeigten, an dessen östlicher Seite Kräne in den Himmel stachen, ein wenig, als beginne dort drüben Hongkong. Doch in Wirklichkeit war an dieser Stelle der Wein zu Hause. Cheng hätte Lust auf ein Gläschen gehabt, aber ein Teil des Opfers bestand sicherlich darin, jetzt eben nicht in den Weinbergen zu sitzen und sich fröhlich zuzuprosten.
Zu selbigem Ritual paßte nun auch, daß am Rand des Feldes ein hohes Kreuz aus hellem Holz aus dem Wiesenstück ragte, das zur Windseite hin von einer Wand eng stehender Bäume flankiert wurde, während auf der anderen Seite ein paar Bäumchen den Eindruck locker hingestreuter Lyrik vermittelten. Cheng näherte sich interessiert diesem Ensemble. Alles an diesem Ort, die dreizehn um das Kreuz stehenden Holzpflöcke, die frischen Blumen, die Kerzen, die schmückenden oder stellvertretend für die absenten Menschen meditierenden Steine, das Gras, das Kreuz selbst, alles wirkte so überaus gepflegt, in der Art täglich geputzter Scheiben, die einem das milde Glück sinnloser Sauberkeit bescheren. Beim Anblick dieser liebevoll dekorierten Anlage mußte Cheng das Wort »Kindermesse« denken. − Aber ist denn nicht jede Messe eine Kindermesse? Gewissermaßen der ganze Katholizismus ein Kinderkatholizismus?
Aus einem seitlich plazierten, freistehenden Prospektständer entnahm Cheng eine Broschüre mit dem Titel Du wirst die Wunder erfahren . Am Rand des Papiers war eine kleine Medaille aus dünnem Blech montiert, auf der die Gottesmutter zu sehen war, und zwar so, wie die heiliggesprochene Schwester Katharina Labouré sie 1830 geschaut hatte. In der Schrift war in schwülstiger Weise von der »wundertätigen Medaille« die Rede, vom »Marianischen Zeitalter« und der »Macht des Satans«, die zertreten werden müsse. Einer dieser dummen Kindermessetexte über den Verfall der Zeit, die ihrerseits den Verfall der Sprache dokumentieren. Dennoch, Cheng trennte das hautartig dünne Blech von dem Papierbogen herunter und betrachtete es nicht ohne Liebe und Vertrauen. So war er nun mal. Ein Freund der Kleinigkeiten. Er konnte einfach nicht nein sagen, wenn sich ihm eine Gottesmutter anbot, so lächerlich die Umstände auch sein mochten. Ja, vielleicht war die Lächerlichkeit der Umstände sogar maßgeblich: das Billige der winzigen Plakette, das Pathos dieses Textes, das Hin und Her zwischen Gejammer und Allmachtsphantasien, diese geradezu gottlose Forderung nach Unterwerfung des Individuums, der ganze Kitsch dieser an den Stadtrand gepflanzten Gebetsidylle.
Nein, Cheng genierte sich nicht, das kleine Medaillon an sich zu nehmen und es in einer Innentasche seines Jacketts zu verwahren, wo es nun übrigens mit einer Pokémonschutzkarte lagerte, die er Jahre zuvor von einem ihm völlig unbekannten, blonden, rotbackigen Jungen auf der Straße zugesteckt bekommen hatte. Und da war auch noch ein kleiner Schlüsselanhänger – und das hatte nun gar nichts mit dem Krebschen in der Lerchenfelder Straße zu tun –, welcher eine Batmanfigur darstellte, die man aber auch für einen schwarzen Käfer hätte halten können, ein Objekt jedenfalls, das Cheng eines Tages aus seiner Anzugstasche gezogen hatte, ohne sagen zu können, wie es da hineingekommen war.
So waren es nun also drei Objekte, drei guter Geister,
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