Batmans Schoenheit
tropischen Einrichtungen in Zooanlagen, wo man sich wie in einem Zeichentrickfilm wähnt: Familie Jedermann besucht Tarzan. Diese Welt hier jedoch wirkte bei aller Künstlichkeit vollkommen echt. Echt und fremd und schwer einzuschätzen.
Cheng sah sich um. Palmen bis zur Decke, mannshohe Kakteen, Lianen ohne Affen, fleischige Blüten, Luftwurzeln, der Eindruck von Spinnen, auch wenn keine zu sehen waren, schwere Gerüche. Durch die von den warmroten Lichtstreifen der Abendsonne gerasterte Schattenwelt drangen die Alarmrufe einiger Vögel, die Cheng aus ihrer ersten Schlafphase geholt hatte.
»Was haben Sie hier verloren?« meldete sich eine Stimme in Chengs Rücken.
Cheng wandte sich um und erkannte einen Mann vom militärisch-romantischen Stile Curd Jürgens’, jedoch mit einer grünen Gärtnerschürze bekleidet und einer Heckenschere in der Hand. Cheng wußte augenblicklich, daß sein Instinkt ihn bestens geleitet hatte, daß er sich also an der richtigen Stelle befand. Er konnte gar nicht falsch sein. Er wäre nie an diesen Ort gelangt und an diesen Heckenscherenmann geraten, um dann falsch zu sein. Und darum erklärte er nun mit der Leichtigkeit einer Aufwartung: »Ich bin gekommen, um Oberstleutnant Straka abzuholen. Ich weiß schon, daß Sie gerade die Polizei zu Besuch hatten. Aber nun bin ich da, und ich bin ein bißchen sturer als die anderen.«
»Ach, sind Sie das?«
»Sehen Sie, Herr … Ich weiß nicht, warum Sie getan haben, was Sie getan haben. Egal, es ist hier und jetzt zu Ende.«
»Und Sie bestimmen das also?«
»Würde ich sonst vor Ihnen stehen?« fragte Cheng mit ehrlichem Erstaunen.
»Na gut«, meinte der Mann und ging daran, seine Heckenschere zur Seite zu legen, drehte sich dann aber – mit einer Plötzlichkeit, die einem dünneren, kleineren Mann entsprochen hätte – auf Cheng zu und schlug ihm mit dem schlagringartig vor die Faust gehaltenen Gerätegriff mitten ins Gesicht.
Das war das, was Cheng noch mehr haßte als die Turnerei: Uneinsichtigkeit und die daraus resultierende Gewalt, dieses wüste Handeln schlechter Verlierer. Er selbst war doch so höflich gewesen, warum also …?
Es wurde augenblicklich Nacht. Fett und klebrig. Eine Nacht wie aus Bitumen. Raffiniert!
Als Cheng wieder erwachte, war es noch immer Nacht. Nicht so klebrig, dennoch undurchdringlich. Er konnte absolut nichts sehen, vernahm allerdings vielfache Geräusche, ein Surren von der Seite her, ein Plätschern über sich. Auch steckte eine Feuchtigkeit in der Luft. Beziehungsweise konnte man sagen, daß die Luft mehr Feuchtigkeit als sonst was besaß. Er selbst lag zusammengekrümmt in irgendeiner Ecke, die Wange gegen den kalten, nassen Stein gepreßt. Keine Frage, wo auch immer er sich befand, sein Anzug würde erneut darunter leiden. Und das war nicht nur so dahin gedacht, Cheng war überzeugt, daß, wenn ein Anzug verdreckte, auch der Mensch in diesem Anzug Schaden nahm. Nicht nur äußerlichen, auch seelischen Schaden.
Cheng kramte in seiner Tasche. Natürlich, das Handy war weg. So gescheit waren die Verbrecher heutzutage auch. Allerdings schien der Mann, der Cheng bewußtlos geschlagen hatte, doch in einiger Eile gehandelt zu haben. Denn immerhin hatte er seinem Opfer die Packung Zigaretten gelassen. Und Zigaretten waren, Karzinome hin oder her, ein Symbol des Aufschubs. Wie es ja auch gerne hieß: eine letzte Zigarette. − Die letzte Zigarette fügt sich, schmal wie sie ist, zwischen Leben und Tod und schafft einen experimentalphysikalischen Moment der tausend Möglichkeiten.
Zur Zigarette gehört freilich eine Feuerquelle. Selbige bestand im konkreten Fall aus einem in die Cellophanhülle gefügten Päckchen Streichhölzer, dank derer Cheng nun in der Lage war, ein kurzfristiges Licht zu schaffen.
Stimmt, etwas Erfreuliches war sicher nicht zu erwarten gewesen. Denn so, wie Cheng niemals an diesen Ort gelangt wäre, um dann falsch zu sein, wäre er auch nie hierhergeraten, um etwas Erfreulichem zu begegnen.
Noch weniger als verdreckte Anzüge und entehrende Klettereien mit nur einem Arm konnte Cheng enge Räume leiden. Ohne darum klaustrophober als jeder andere zu sein, der kein Maulwurf und kein Regenwurm war.
Er versuchte sich auch sogleich zu beruhigen, indem er dachte: »Es könnte schlimmer sein.«
Nun, schlimmer könnte es immer sein. Ein wirklicher Trost ist das nicht.
Neunzehntes Bild:
Zweisamkeit
Der gemauerte, fensterlose Raum, in dem Cheng gefangen war, besaß in etwa die
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