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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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verriet. Cheng sah sich um, wartete, so wie Elly gewartet hatte, als sie im Zimmer des vierten Toten gestanden hatte.
    Wer wartet, sollte natürlich ungefähr wissen, worauf. Ja, es zumindest ahnen, also nicht vor dem Gate einer Fluglinie stehen, um die nächste S-Bahn zu erwischen.
    Cheng ignorierte die kleine Kiste des Anrufbeantworters, trotzdem sie blinkte, ignorierte die Papiere auf dem Schreibtisch, ignorierte sogar das Foto an der Wand, und das, obwohl er selbst darauf zu sehen war (mit seinem Hund Lauscher, der ja eigentlich der berühmtere von ihnen beiden war). Statt dessen ließ er sich von einer Kleinigkeit anziehen, einer Kleinigkeit von der Strahlkraft jener S-Bahn, die einem sehr viel willkommener ist als alle Flugzeuge der Welt, wenn man nicht nach Paris will, sondern etwa nach Floridsdorf.
    Es war ein Stoß aus Plänen, aus Stadt- und Straßenkarten, auf den sich Cheng nun zubewegte. Obenauf lag, etwas verschoben zu den anderen und nur halb geschlossen, ein Wienplan. Darunter Oslo. Gut, man war hier nicht in Oslo, zudem glaubte Cheng kaum, daß Straka nach Oslo entführt worden war. Es kam allein der oberste Plan in Frage, der aussah wie kürzlich benutzt.
    Cheng entfaltete die Karte, so daß sich vor ihm das vom blauen Streifen der Donau gespaltene Wien als Konglomerat ziemlich verzweigter Ameisenstraßen offenbarte. Nach links die ins Grün mündenden Häusermeere, nach rechts die ins Weiß ausschlagenden peripheren Besiedelungen.
    Cheng ging ganz nahe an das Papier heran. Er war jetzt keine Bachblüte mehr, sondern eine lebende Lupe. Wobei zu sagen wäre, daß Cheng im Zuge seiner Krebschenzucht und Krebschenpflege einen sehr genauen Blick entwickelt hatte, ja, ihm kam vor, als hätte – ähnlich wie einst seine Hörkraft – nun auch seine Sehkraft zugenommen, dadurch, daß er die Eiersäcke der Weibchen, die Därme hinter durchsichtigen Häuten, die winzigen Algen oder Batmans Schwimmbeine Tag für Tag, Woche um Woche beobachtete. Ganz abgesehen von seinem Bemühen, durch die löchrige Außenmauer der Architektur einen Blick auf das Innere der »Bathöhle« zu erhaschen.
    »Ich kann sehen wie ein Luchs«, dachte Cheng. Und das stimmte ja auch.
    Und: Wenn man ein Luchs ist, besitzt man einen sechsten Sinn.
    Ein solcher sechster Sinn animierte Cheng dazu, die scheinbare Belanglosigkeit dieser Straßenkarte zu ignorieren und mit seinem schräggestellten Kopf derart knapp entlang des Papiers zu steuern, so daß sein linkes Auge wie im Segelflug darüber hinwegglitt, die Karte nicht als zweidimensional erlebend, sondern durchaus mit dem Oben und Unten der Häuserschluchten, den Erhebungen und Abschüssen, den betonierten Winkeln und begrünten Flächen. Wobei es sehr von Vorteil war, daß Cheng keinen linken Arm besaß, den er umständlich zur Seite hätte drehen müssen. Anstrengend war es natürlich trotzdem, über den Tisch gebeugt, zwischen Wienerwald und Marchfeld, zwischen dem weißen Fleck der Inzersdorf-Vösendorf-Passage und dem weißen Fleck der Strebersdorf-Stammersdorf-Passage hin- und herzufliegen und Ausschau nach einem Hinweis zu halten. Welcher ganz offensichtlich nicht darin bestand, daß Straka einen bestimmten Ort mit rotem Kuli eingekreist hatte. Und doch: Es war eine Markierung, die Cheng suchte, ja von der er wußte, daß sie hier irgendwo steckte.
    Als Elly kurz hereinschaute, meinte sie, Cheng würde sein Ohr an die Karte legen, um sie abzuhorchen. Was ja auch eine Möglichkeit gewesen wäre, wenn man erstens davon ausging, daß Straka diesen Plan tatsächlich benutzt hatte und man zweitens an flüsternde Karten glaubte, wenigstens an pochende Herzen im Inneren solcher Karten. Aber das tat Cheng nicht. Und das, was er sodann tatsächlich entdecken sollte, stand auch in keiner Weise außerhalb des Bekannten und Vertrauten und Naturgesetzmäßigen, war nur einfach auf den ersten Blick schwer festzustellen gewesen.
    Aber es gelang.
    »Hier!« sagte Cheng und zeigte auf eine Stelle hoch im Norden der Planzeichnung.
    »Was ist da?« fragte Elly.
    »Schauen Sie genau hin. Da hat jemand mit seinem Daumennagel ein Kreuz ins Papier gedrückt. Man kann es erkennen, weil es an einer weißen Stelle liegt. Im Ziegelrot der Häuser hätte ich es wohl übersehen.«
    Elly ging nahe an das Papier heran. Tatsächlich, zwei Ritzer, die ein Schrägkreuz bildeten. Nicht als Hinweis für Dritte, denn dazu war es viel zu unscheinbar, sondern eher in der Art einer reflexartigen Unterstreichung. So,

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