Batmans Schoenheit
vermuten läßt, auch wenn wohl eher ein geschnitztes Holzstück zum Einsatz gekommen war. Jedenfalls dürfte es sich kaum um eine geplante, sondern vielmehr um eine plötzliche Entscheidung gehandelt zu haben. Vielleicht um die Götter gnädig zu stimmen, die ja durchaus das Postwesen schätzen. Vielleicht aber auch als Ersatzhandlung, weil man außerstande gewesen war, auf Bouvetøya zu landen. Einige dieser auf solche Weise präparierten Briefmarken wurden bei der Rückkehr in Kapstadt mit dem dortigen Poststempel versehen, um den eigentlichen Zweck aller Briefmarken zu erfüllen, nämlich kuvertierte Schriftstücke und rückseitig beschriftete Ansichtskarten auf den Weg zu bringen, sie vorbei an den Gefahren der Weltmeere und Schienenstrecken und Luftwege, vor allem jedoch vorbei an umtriebigen oder mitunter nicht ganz konzentrierten oder korrekten Postmitarbeitern, in die Hände genau jener Menschen zu spielen, an die sie gerichtet sind.
Es ist nämlich die Briefmarke, welche dies bewirkt, weniger die angegebene Adresse, auch wenn man das glauben mag. Nein, die Briefmarke gibt den richtigen Weg vor. Die Adresse ist bloß eine Empfehlung im Angesicht von beamteten oder angestellten Personen, die schon mal Austria mit Australia verwechseln und selbstverständlich den Berg mit der Burg, oder die der Umstand, daß jemand Batman heißt, übersehen läßt, daß dieser Mensch seine Adresse in Birmingham hat, und nicht in Gotham City, das es ja gar nicht gibt. Viele Karten und Briefe und Pakete landen an Orten, die überhaupt nicht existieren. Dieser Tendenz – der Tendenz zum Irrtum, zur Verwechslung, zum normalen Schwund und abnormalen Diebstahl – steht das Bemühen der Briefmarke entgegen, das Versandstück an jenen Ort und in jenes Haus zu befördern, die der Verschicker auch meinte. Daß die Briefmarke ihrerseits Gegenstand der Begierde ist und somit von diebstahlartigen Handlungen bedroht, bestätigt bloß, daß alles und jedes sich in einem Kampf und Widerstreit befindet. Die Niedertracht des Menschen fordert die Moral der Objekte heraus. In jedem Fall ist es so, daß nicht nur Menschen gut oder böse, gleichgültig oder engagiert sein können, sondern auch Dinge. Nicht allein von der »Tücke des Objekts« sollte die Rede sein, auch sein guter Wille muß gesehen werden.
Was jedoch war von Briefmarken zu halten, die es nie geschafft hatten, Briefe zu befördern und statt dessen in die Abgründe der Philatelie geraten waren, einer Leidenschaft von ähnlich grausamer Eigenart wie das Sammeln und Aufspießen von Käfern? Solche Briefmarken waren wie lebende Tote, die freilich nie wirklich gelebt, nie richtig im Dasein gestanden hatten, bloß als eine Versprechung, die zu keinem Moment in Erfüllung gegangen war.
Fragte sich, ob es möglich war, daß Briefmarken auch nach über siebzig Jahren, in denen ihr Wert sich ins Riesenhafte gesteigert hatte oder ins Nichts abgeglitten war, jedenfalls nicht jenen Betrag verkörperte, der einst ihrer Bestimmung entsprochen hatte, daß solche historischen Objekte doch noch in den Genuß kommen konnten, ihren Lebenszweck zu erfüllen, indem sie die Beförderung von etwas oder vielleicht auch jemandem gewährleisteten.
»Was soll ich mit den Briefmarken?« wollte Red wissen.
»Ich nehme an, die Bücher verschicken.«
»Wie? Mit 5-Øre-Marken von 1934?«
»Sagen wir mal so: Das sind die einzigen Briefmarken, die jemals für Post aus Bouvet hergestellt wurden. Wer auch immer darauf besteht, Post aus Bouvet zu verschicken, wird diese alten Exemplare nehmen müssen. – Da ist übrigens noch was für Sie dabei.«
Aus der gleichen ledernen Mappe zog der kleine Mann ein Kuvert, jedoch ein unverklebtes, und reichte es Red.
»Haben Sie das geöffnet?« fragte Red.
»Warum sollte ich das tun? Ich bin in dieser Geschichte der Händler und nicht der Schwindler. Nein, das Kuvert war schon offen. Was entweder bedeutet, wie unwichtig sein Inhalt ist, oder wir es mit Leuten zu tun haben, die es nicht für nötig halten, ihre Türen zu verschließen.«
Na, da hat er wohl recht, dachte sich Red und zog ein gefaltetes Papier aus dem Kuvert. Darauf waren fünf Namen notiert, ganz konventionell, mit Vorname und Nachname, vier Männer und eine Frau. Zwei davon kamen Red bekannt vor, wie irgendwann mal gehört oder gelesen. Aber es war nicht so, daß es bei ihm klingelte.
»Wieso nur fünf?« fragte Red.
» Sie haben viele Fragen und ich keine Antworten«, stellte der Buchhändler fest.
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